Barbara Köhler: Schriftstellen. Ausgewählte Gedichte und andere Texte
Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Marie Luise Knott.
Suhrkamp, 2024.
261 Seiten, 25 Euro.
"was ist ankommen und wo
wie macht man das sagt man ja
und amen ebbe statt flut
haus statt schiff wie kann man
sich und das meer so vergessen"
"Schriftstellen": ein treffenderer Titel ist kaum denkbar, um das vielgestaltige Werk von Barbara Köhler in einem einzigen Wort zu verdichten. Sie war eine Wortkünstlerin, deren literarischer Weg von den Elblandschaften der späten DDR zu einer weit ausgreifenden Erkundung textlicher Räume führte.
Wahrnehmung und Sprache bilden ein durchgängiges Thema in ihrem Schaffen. Wie kann die Unruhe des Lebens Form finden, wie lässt sich das Überviele auf einer Buchseite festhalten? Sprachphilosophisch informiert, ergründete sie Grammatik und Typografie, die weibliche Stimme und den akustischen Raum. Lakonisch bisweilen, formstreng und humorvoll, unterscheidend und querverbindend, stellte die gelernte „Facharbeiterin für textile Flächenherstellung“ poetische Gewebe her.
"Die Ordnung der Sätze
Hat Zukunft: sie wird
Gewesen sein Üben Sie
Die Möglichkeiten der
Ersten Person Einzahl
Als wäre das nur eine
Frage der Grammatik &
Würde ein Konjunktiv."
Von Anfang an war Barbara Köhler eine Autorin, die sich für Übergangsbereiche interessierte: für Übergänge zwischen den Zeiten, wenn sie sich mit antiker Dichtung lyrisch auseinandersetzte; für Übergänge zwischen den Sprachen, wenn sie Samuel Beckett und Gertrude Stein ins Deutsche übertrug; und schließlich für Übergänge zwischen den Künsten, wenn sie Texte zu Malerei und Fotografie verfasste, die keine definitiven Worte sein wollten, sondern sich auf Augenhöhe mit den besprochenen Arbeiten begaben. Ihre Auseinandersetzung mit Homers Odyssee kommentierte sie folgendermaßen:
"Die Verführung ist nicht diskursive Rede, der ja zu erwidern, die zu unterbrechen möglich wäre, sondern gebundene Rede, rhythmisiert, komponiert, zwei Stimmen in voller Beweglichkeit miteinander verflochten: Gesang, ein unzugänglicher, so dichter wie weiter Klangraum. Wer den betreten, sich darin bewegen wollte, müßte die Existenz als distanzierter Zuschauer aufgeben, müßte Teil der Musik werden, sich ihr einverleiben, Instrument sein, Singstimme, wie die Sirenen."
Barbara Köhler hat mit ihren Arbeiten den sprachlichen Raum erkundet und Räume buchstäblich mit Wörtern versehen. Sie hat viele Orte bereist, darunter Ungarn, Portugal, Istanbul und den englischsprachigen Raum. Mit ihren Textinstallationen baute sie begrenzten Galeriegebäuden einen weiten Horizont ein. Sie selbst sprach von "temporären und ständigen Arbeiten für öffentlichen Raum und private Gärten".
"Ich habe das Sagen nicht. Ich lasse es
mir gesagt sein mir gefallen Wendungen
die verwandeln die EinRichtung zwischen
verrückten Wänden in ungehörige Räume"
Ansprechend gestaltet und von Marie Luise Knott sorgfältig ediert, versammelt der jetzt in der Bibliothek Suhrkamp erschienene Auswahlband neben Schlüsseltexten auch Verstreutes und Unveröffentlichtes: von frühen, bereits 1985 in einer DDR-Künstlerzeitschrift erschienenen Essays bis zu Funden aus ihrem Nachlass. Als wohnten sie nur vorübergehend zwischen zwei Buchdeckeln, laden Barbara Köhlers Texte ein zum lauten Lesen und ragen hinein in das Getümmel der Welt.
"danke, es geht schon, wenn es aufs geradewohl geht, muss das ein ausreichender grund sein; genau wie das ganze: weil es darauf gehn kann, das draufgehn wiederum ist ein vergehen, es geht von wegen zu verwegen, aber wenn es so weitergehn soll und möglichst immer aufs ganze – worauf könnte es dann noch ankommen? oder hinauslaufen? also offengesagt und wenn es nach mir ginge, sollte es jetzt einfach losgehen: ein gehnbleiben, und anders."