Buchcover: "Paris-Trilogie" von Colombe Schneck

"Paris-Trilogie" von Colombe Schneck

Stand: 22.04.2024, 07:00 Uhr

Wirrungen der Liebe und eine Hommage an Annie Ernaux: In ihrer "Paris-Trilogie" schildert die Schriftstellerin Colombe Schneck das Aufwachsen im Pariser intellektuellen Bürgertum. Eine Rezension von Dirk Fuhrig.

Colombe Schneck: Paris-Trilogie
Aus dem Französischen von Claudia Steinitz.
Rowohlt, 2024.
208 Seiten, 24 Euro.

"Paris-Trilogie" von Colombe Schneck

Lesestoff – neue Bücher 22.04.2024 04:29 Min. Verfügbar bis 22.04.2025 WDR Online Von Dirk Fuhrig


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"Für Annie Ernaux"

Mit dieser Widmung an die Literatur-Nobelpreisträgerin eröffnet Colombe Schneck den ersten ihrer drei hier versammelten so genannten "Kurzromane". Schneck schildert eine Abtreibung im Alter von 17 Jahren. Aber im Falle dieser Ich-Erzählerin handelt es sich nicht um eine junge Frau aus der Unterschicht, die in den 60er-Jahren durch eine Hölle von Unverständnis und moralischer Verurteilung geht, wie in Ernaux’ "Das Ereignis".

Vielmehr wird in dem wohlsituierten, aufgeklärten, linksliberalen Milieu der 80er-Jahre, in dem die Erzählerin aufwächst, eine Abtreibung als Normalität behandelt, eben nicht als "Ereignis", sondern eher als Nebensache.

"Ich habe keinen einzigen Vorwurf gehört, weder von meinen Eltern noch von Vincent, er hätte mir vorhalten können, nicht aufgepasst, die Pille vergessen zu haben, und trotzdem spüre ich einen Makel an mir, einen Makel aus Blut, aus Exkrementen, aus der Erde, die man auf Särge wirft. Also schweige ich."

Colombe Schneck – die man hier nahezu in eins mit der Erzählerin setzten darf –  wurde 1964 in Paris geboren. Sie ist das, was man heutzutage privilegiert nennt: Tochter aus gutem Haus, in diesem Fall eine jüdische Familie, die am Jardin du Luxembourg wohnt, also in einem der begehrtesten Viertel der französischen Hauptstadt. Die renommiertesten Schulen und Hochschulen sind fußläufig erreichbar. Man gibt sich lässig, ist nachlässig elegant gekleidet und steht politisch auf der Seite des Fortschritts:  

"Wir sind im Jahr 1984, die Linke ist an der Macht. Die Todesstrafe wurde abgeschafft, die Fête de la Musique erfunden, die CD ist garantiert unzerbrechlich. Der Ministerpräsident ist achtunddreißig, Aids ist für mich eine ebenso bedrohliche wie ferne Krankheit, die feministische Revolution ist fast vollendet."

Mit der aus kleinbürgerlich engen, reaktionären Kreisen einer Vorstadt stammenden Annie Ernaux hat Colombe Schneck so gut wie nichts zu tun. Die einzige Gemeinsamkeit. Auch sie ist eine Frau, die in jungen Jahren eine ungewollte Schwangerschaft hat abbrechen lassen – unter eben völlig anderen gesellschaftlichen Bedingungen. Und dennoch empfindet die Ich-Erzählerin eine unbestimmte Scham und Schuld, die sie nicht näher benennen kann.   

Im Vergleich zu den existentiellen Nöten, die Annie Ernaux geschildert hat – soziale, moralische, ökonomische Ausgrenzung und Erniedrigung –, wirken die autobiografischen Erinnerungen Schnecks eher – ja: banal. Ihr Schreiben darüber hat etwas Prätentiöses, Gesuchtes.

Allerdings ist sich Colombe Schneck dieser Tatsache sehr bewusst. Sie spielt mit dem schlechten Gewissen, dass sie aus ihrem gehobenen gesellschaftlichen Status heraus schreibt. Das wird deutlich im zweiten Kurzroman, in dem sie gegen ihre eigene Herkunft polemisiert.

"Les bourgeois, c’est comme des cochons, das wusste schon Jacques Brel, die Bürgerlichen sind Schweine, man mag sie nicht. Bürgerlich oder borniert, erklärt ein gutes Synonymwörterbuch, bürgerlich oder brav, bürgerlich oder engstirnig, konventionell, egoistisch, formalistisch, ungehobelt, plump, durchschnittlich, mittelmäßig, feige, spießig, affig, trivial, bürgerlich oder vulgär."

Colombe Schneck gibt sich radikal introspektiv, ihre Sprache greift den kalten autofiktionalen Gestus auf, den Ernaux in ihrem Spätwerk perfektioniert hat. Die Erzählerin scheint kein Blatt vor den Mund zu nehmen, wenn es um die Beschreibung der eigenen Ängste und Bedrängnisse geht. Sie leidet – auf hohem Niveau – an ihrer Klassenzugehörigkeit, sie leidet am Unvermögen, ihre beste Freundin während deren tödlich verlaufender Krebserkrankung adäquat zu begleiten. Und sie leidet an ihren stets scheiternden Beziehungen zu Männern.

Diese Endlosschleife des Selbstmitleids ist streckenweise nervenaufreibend. Allerdings schafft Colombe Schneck es mit ihrer nüchtern protokollierenden Sprache, mit ihren kurzen, pointierten Sätzen immer wieder, entlarvende Schlaglichter auf Alltagssituationen zu werfen. Die Tristesse einer Ehe, zermürbender Liebeskummer in all seinen Varianten, die Eintönigkeit einer materiell sorgenfreien Existenz in der intellektuellen Wohlstandblase am linken Seineufer. Da, und auch nur da, wo aus der Innerlichkeit Gesellschaftsbeobachtung wird, gelingt dieser Schriftstellerin ein spannender  zeitgenössischer Roman.