Buchcover: "Die kurze und schreckliche Regentschaft von Phil" von George Saunders

"Die kurze und schreckliche Regentschaft von Phil" von George Saunders

Stand: 09.10.2024, 07:00 Uhr

Der vor allem als brillanter Kurzgeschichten-Erzähler bekannte Amerikaner George Saunders hat nun nach "Lincoln im Bardo" seinen zweiten Roman vorgelegt, eine Science-Fiction-Dystopie über die Entstehung autoritärer Macht. Eine düstere Geschichte mit befremdlich glücklichem Ausgang. Eine Rezension von Peter Meisenberg.

George Saunders, Die kurze und schreckliche Regentschaft von Phil
Aus dem amerikanischen Englisch von Frank Heibert.
Luchterhand, 2024.
144 Seiten, 20 Euro.

"Die kurze und schreckliche Regentschaft von Phil" von Georg Saunders

Lesestoff – neue Bücher 09.10.2024 05:40 Min. Verfügbar bis 09.10.2025 WDR Online Von Peter Meisenberg


Download

An den Grenzen, das war schon immer so, entzünden sich alle politischen Konflikte. Deshalb ist George Saunders politische Satire nicht ohne Grund die Geschichte eines Grenzkonflikts und ihr "Held", Phil, trägt den beziehungsreichen Titel eines "Sondergrenzeinsatzkoordinators".

Der Grenzkonflikt entsteht dadurch, dass das Gebiet des Landes "Inner-Horner" eines Tages zu schrumpfen beginnt, was seine Bewohner dazu zwingt, das Gebiet des benachbarten "Außen-Horner" zu betreten. Das empfinden die den Inner-Horneriten ohnehin feindlich gesinnten Außen-Hornertiten als eine Invasion. Augenblicklich tritt das Grenzschutzteam Phils auf den Plan und Phil benutzt sofort die für solche Konflikte typische rassistisch-nationalistische Rhetorik.

"'Und was euch angeht, ihr Innen-Horneriten', bellte Phil. 'Nehmt gefälligst zur Kenntnis: Ihr seid hiermit dabei, die Grenzen unserer legendären Großzügigkeit auszutesten, einfach weil ihr so seid, wie ihr seid, nämlich das absolute Gegenteil von uns. Freunde, seht euch diese Loser an! Wenn die so gut sind wie wir, warum sehen sie dann so viel schlechter aus? Guckt euch an, wie die aussehen! Sehen die vielleicht kühn und edel und groß aus wie wir, oder sehen sie traurig und schwach und mickrig aus?'"

Wie in den meisten politischen Parabeln verfremdet auch Saunders sowohl den Ort wie das Personal seiner Geschichte: Waren es bei George Orwells antistalinistischer „Animal Farm“ ein heruntergekommenes Bauernhaus und die Protagonisten die darauf lebenden Tiere, sind es bei Saunders ferne Planeten und extraterrestrische, Menschen völlig unähnliche und äußerst abstrakte Wesen: Phils Kontrahent, der Inner-Hornerit Cal, sieht aus…

"…wie eine riesige Gürtelschnalle mit einem blauen Punkt dran, wenn eine riesige Gürtelschnalle mit einem blauen Punkt dran an eine Dose Thunfisch getackert worden wäre."

Und Phil selbst, der sein Hirn auf einer Gleitanlage in Position hält, leidet darunter, dass es ihm manchmal herausfällt, zu Boden klatscht und damit seinen Sprachfluss durcheinanderbringt. Das sind alles witzig ausgetüftelte Details – und manchmal können sie den Leser auch zum Schmunzeln bringen.

Doch alles in allem verfehlt Saunders Fabel von der Entstehung und Entwicklung autoritärer Macht die intendierte komische Wirkung. Das liegt vor allem daran, dass sie allzu voraussehbar verläuft: Phil, der "Sondergrenzeinsatzkoordinator", drangsaliert die Inner-Horneriten immer brutaler und beginnt, pseudo-demokratisch legitimiert, sie auch physisch zu liquidieren.

"'Dürfte ich um die Stimmabgabe bitten?', sagte Phil. 'Nehmen wir diesen Aggressor auseinander oder nicht, zum Wohl unserer Nation und um weitere Gewalt abzuwenden?'"

Als der grenzdebile Präsident von Außen-Horner davon erfährt, bestellt er Phil zu sich, hat aber bei der Audienz vergessen, warum er das tat. Phil ergreift die Chance, reißt die Macht an sich und erklärt sich selbst zum Präsidenten. Man könnte meinen, George Saunders habe hier eine Satire aktueller amerikanischer Zustände vorgelegt. Aber das ist nicht so und eine entsprechende Absicht streitet der Autor im Nachwort auch ausdrücklich ab, insistiert stattdessen darauf…

"...am Ende einen Wesentlichen Menschlichen Defekt zu isolieren, der in allen Exzessen unserer Geschichte steckt."

Dieses unentschiedene Schwanken zwischen politischer Satire und allgemein menschlicher Parabel macht George Saunders Geschichte schließlich zu einer wenig erfreulichen Lektüre. Denn es führt zum reaktionär-versöhnlichen Schluss der Fabel, an dem ein Schöpfer-Gott in Gestalt zweier Hände auftaucht, die die zerstrittenen Innen- und Außen-Horneriten auseinandernehmen und zu „fünfzehn ganz neuen kleinen Leuten“ formen.

Man möchte George Saunders raten, in Zukunft seine formenden Hände von Stoffen zu lassen, die in Jonathan Swifts "Gulliver" oder George Orwells "Animal Farm" schon sehr viel klüger – und vor allem witziger behandelt wurden.