Buchcover: "Schiff aus Stein" von Karl-Markus Gauß

"Schiff aus Stein" von Karl-Markus Gauß

Stand: 08.10.2024, 07:00 Uhr

In seinen kurzen und kürzesten Erzählungen "Schiff aus Stein" beschenkt uns der Salzburger Schriftsteller Karl-Markus Gauß einmal mehr mit seinen Beobachtungen vom Alltagsleben an den Rändern Europas. Eine Rezension von Terry Albrecht.

Karl-Markus Gauß: Schiff aus Stein
Zsolnay, 2024.
144 Seiten, 23 Euro.

"Schiff aus Stein" von Karl-Markus Gauß

Lesestoff – neue Bücher 08.10.2024 05:09 Min. Verfügbar bis 08.10.2025 WDR Online Von Terry Albrecht


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Mit "Schiff aus Stein" hat Karl-Markus Gauß wieder ein Buch mit kurzen, diesmal aber besonders kurzen Erzählungen und Geschichten vorgelegt. Manche haben nur zwei drei Seiten Länge, die so das Anekdotische kaum überschreiten: Minutenlektüren. Lesen, weglegen, lesen. So funktioniert das Buch am besten. Meist sind es Beobachtungen, die Gauß als Reisender macht, aber auch als Selbstlesender, etwa wenn er von Träumen Arthur Schnitzlers erzählt. Mit Vorliebe besucht Gauß die Ränder Europas, etwa den Ort Shkodra in Albanien. Und gern überlässt er es dem Zufall, welche Menschen er trifft, beobachtet. Nicht immer erfolgreich:

"Und dann das! Stundenlang zog ich durch die Stadt, die mich so lange angezogen hatte, und ich fand nichts, das mich zu verweilen reizte."

Doch am Ende des Tages stellt er erleichtert fest:

"Zurück im Hotel, verspürte ich es endlich, das Glück in fremden Städten, das mir sagt, wann ich einen Ort verlassen darf."

Der Entdeckergeist Gauß. Das kann auch schon mal nur in seiner eigenen Bibliothek sein, wie er es in seinem früheren Buch "Abenteuerliche Reise durch mein Zimmer" beschreibt. Das sich treiben lassen, die Beobachtungen, etwa die bemerkenswert langen Nasen eines jungen Paares im Zug, oder die Frage, die unbedingt geklärt werden muss: was liest die im Bus vor ihm sitzende Frau für ein Buch.

"Sie las stumm, aber bewegte dabei die Lippen wie ein Kind, das sich die Wörter, die es gerade gelernt hat, still vorspricht. Eifersüchtig ging ich die Liste der von mir für besonders überschätzt gehaltenen Autoren und Autorinnen durch, die eine globale Leserschaft erreichten."

Um zu klären, ohne dabei in seiner Neugier entdeckt zu werden, welches Buch so bedeutungsvoll für die Frau ist, fährt Gauß auch gern zwei drei Stationen weiter, als eigentlich gedacht. Das Unterwegssein ist ohnehin das magische Credo, aus dem Gauß` Schreiben erwächst. 

"...ist es doch ein zentrales Dogma meiner Lebensreligion, dass es keinen Ort gibt, der es nicht wert wäre, durchwandert und erkundet zu werden."

Dafür nimmt sich Karl-Markus Gauß etwas, von dem wir alle zu wenig zu haben scheinen: Zeit. Die Art und Weise, wie er von diesen Augenblicken erzählt, in denen die Zeit bei seinen Beobachtungen und Erkundungen stehen zu bleiben scheint, entschleunigt auch seine Leser.   

"Ich bin kein Wanderer und kein Flaneur, für jenen fehlt mir die sportliche Ambition, zu diesem der kulturelle Snobismus. Ich bin ein Geher und Schauer, also ist das Schlendern mein Metier. Das Schlendern ist die freie und natürliche Form der Fortbewegung, daher muss man sie, wenn man sie auf dem langen Weg zum Erwachsenen vergessen hat, später als Kulturtechnik erlernen und sich stetig in ihr üben, um nicht wieder in den Trab oder Galopp der Zielhaftigkeit zu verfallen."

In einem Traumbild kehrt Gauß in die Heimat seiner Eltern, nach Sombor, in der Vojvodina (heute Serbien), zurück und beschreibt eine Abschiedsszene: 

"Es war in einem Frühling vor der Epochenwende des Zugfahrens, als man die Fenster noch herunterschieben und den Geruch der erhitzten Bahngleise schmecken konnte. Und noch Zeit hatte, sich von den Lieben, die einen verließen, mit nachgeküssten Bekundungen des Schmerzes und Hinterherwinken zu verabschieden."

Manches in früher Kindheit Gehörte erinnert der Autor allein wegen der fremdartigen Namen aus einer anderen, versunkenen Welt:

"Später, als ich aus jenem Traum erwachte, (...) grübelte ich, was es mit der Stadt Sombor auf sich hatte, in der ich doch nie gewesen war. Ich wusste, dass dort, in der Batschka, aus der meine Vorfahren stammten, außer Serben, Kroaten, Slowaken, Donauschwaben auch Angehörige einer Volksgruppe lebten, die Bunjewatzen hießen, denn von ihnen hatte ich mir aus den Familiengeschichten, denen zuzuhören ich als Kind liebte, den faszinierenden Namen gemerkt."

Es bleibt zu hoffen, dass diesem kleinen Buch des durch die Geschichte unseres Europas schlendernden Gauß bald weitere folgen werden.