Buchcover: "Das große Spiel" von Richard Powers

"Das große Spiel" von Richard Powers

Stand: 07.10.2024, 07:00 Uhr

Immer wieder beschäftigt sich der US-amerikanische Schriftsteller Richard Powers in seinen Romanen mit naturwissenschaftlichen Themen und verbindet diese mit den Geschichten, die er erzählt. In seinem neuen Roman, "Das große Spiel", macht er dies mit Blick auf die Meeresforschung, die Ozeanologie. Eine Rezension von Mario Scalla.

Richard Powers: Das große Spiel
Übersetzt aus dem Amerikanischen Englisch von Eva Bonné.
Penguin, 2024.
512 Seiten, 26 Euro.

"Das große Spiel" von Richard Powers

Lesestoff – neue Bücher 07.10.2024 05:23 Min. Verfügbar bis 07.10.2025 WDR Online Von Mario Scalla


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Richard Powers hat wieder ein naturwissenschaftliches Thema aufgegriffen. Biographisch lag es nahe: er hatte Physik studiert, wollte aber eigentlich Meereskundler werden. Für diesen Roman hat er den Plan reaktiviert und sich in die Wissenschaft der Ozeane vertieft, unter anderem in das Leben der bekannten Ozeanographin Sylvia Earle, die für National Geographic und andere Verlage Standardwerke über die Weltmeere verfasst hat. Ein guter Teil des Buches spielt folgerichtig unter Wasser:

"In vielen Meilen Tiefe fand sie ein Königreich vor, wo die Grenze zwischen Albtraum und Vision verschwamm. Monströse Säbelzahnfische angelten ihre Beute mit Ködern aus glimmenden Bakterien, die von ihrem Kopf baumelten. Transparente Quallen, die in grellen Farben blinkten wie Elektrospielzeug. Hydrothermale Quellen und darüber so viel Leben zwischen Weiß und Lila, dass das Gestein kaum noch zu sehen war. Einmal hatte sie einen sieben Meter langen, dreihundert Jahre alten Grönlandhai in der tropischen Tiefsee gesehen."

Viel meereskundliches Wissen steckt in diesem Roman. Wer weiß schon, dass es in tropischen Tiefen tatsächlich Knallkrebse gibt, die mit ihren Scheren stärker lärmen können als ein Düsenjet? Powers schafft es immer wieder, dieses Wissen in poetische Bilder und traumhafte, geradezu rührende Szenen zu übersetzen, etwa als die Ozeanographin einen riesigen Manta-Rochen aus Fangnetzen befreit, die ihn zu ersticken drohen.

Neben ihr gibt es drei weitere Hauptfiguren, einen High-Tech-Kapitalisten, der mit dem Internet Milliarden scheffelt, eine indigene Bewohnerin von Makatea, einer kleinen Pazifikinsel in Französisch-Polynesien, die am Strand Müll sammelt und daraus Kunstobjekte herstellt, dazu das Kind einer schwarzen Familie, das vom sozialen Aufstieg träumt, sich in Bücher vergräbt und schließlich als Lehrer auf Makatea arbeitet. Powers erzählt die Lebensläufe der Vier über Jahrzehnte hinweg. Dabei wechselt das Erzählverfahren. So spricht der Internet-Milliardär im Inneren Monolog:

"Unser Börsengang war eine Sensation, auf dem Papier war ich steinreich. Wir zahlten die Privatinvestoren aus, die sich vom Erlös unterirdische Bunker in Neuseeland kauften. Wir errichteten eine eigene Serverfarm. Während aus dem Berg an Userdaten ein Hochgebirge wurde, stieg unser Aktienkurs in aberwitzige Höhen."

Über kurz oder lang landen alle auf der Pazifikinsel Makatea. Das Meer und seine fortgesetzte Zerstörung – das sind die beiden Themen, die Figuren und Handlung verbinden. Powers schwelgt in Bildern von entrückter Schönheit, wenn es auf Tauchgängen in die Tiefsee oder in die bunte Welt der Korallen geht – und er beschreibt die grimmige Entschlossenheit, mit der das alles kaputt gemacht wird. Kann Geld die Welt retten, wo doch Gier und Profitstreben die Ursache der Katastrophe sind?

"Reihenhäuser aus Holz und Glas säumten den üppigen Dschungel. In gesundem Abstand waren klimafreundliche Handwerksstätten in der Landschaft verteilt. Die Fassaden aus Naturmaterialien waren bunt gestrichen und im Stil der Insel gehalten. Der wiederaufgebaute Hafen war abermals ein Schauplatz von Geschäftigkeit und strahlte eine freundliche Modernität aus. Makatea sah aus wie ein harmonisches Gefüge aus lebendigen Elementen."

Das klingt zu schön, um wahr zu sein – und ist es auch. Es handelt sich um eine Simulation, mittels derer das Projekt den Inselbewohnern schmackhaft gemacht werden soll. Seasteading lautet das neue Zauberwort. Nachhaltig gebaute, schwimmende Städte, eine schöne neue Welt auf pazifischen Inseln, die auch der Meeresforschung neue Wege ebnet, gebaut mit dem Geld des Internet-Milliardärs, könnte das eine Lösung sein? Oder ist das auch wieder nur die Marotte eines Mega-Reichen, der die Welt mit seinen Ideen beglückt?

Powers entscheidet diese Frage nicht, sein Roman handelt davon, wie schön es doch wäre, gäbe es irgendwo eine Lösung, egal wo. Das Buch ist mit viel Trauer geschrieben, gelegentlich mit einer guten Dosis Tiefseeschwärmerei. Aber man verzeiht es dem Autor. Tief unten, fernab der Zerstörungsorgien, die die Menschen anzetteln, glaubt man gerne, dass es dort unten wirklich bezaubernd ruhig und schön sein muss.