Buchcover: "Die Unordentlichen" von Xita Rubert

"Die Unordentlichen" von Xita Rubert

Stand: 13.02.2024, 12:00 Uhr

Eine Ich-Erzählerin erinnert sich an ihre glückliche Zeit, kurz bevor ihr Vater dement wird. Die Begegnung mit einem Mann mit geistiger Behinderung prägt sie tief. In ihrem berührenden Debüt "Die Unordentlichen" vermittelt uns Xita Rubert den Reiz des Andersseins. Eine Rezension von Tobias Wenzel.

Xita Rubert: Die Unordentlichen
Aus dem Spanischen von Friederike von Criegern.
Berenberg Verlag, 2024.
144 Seiten, 22 Euro.

"Die Unordentlichen" von Xita Rubert

Lesestoff – neue Bücher 13.02.2024 05:19 Min. Verfügbar bis 12.02.2025 WDR Online Von Tobias Wenzel


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Als erwachsene Ich-Erzählerin blickt die spanische Schriftstellerin Virginia zurück in eine unbeschwerte Zeit, in der sie siebzehn Jahre jung war. Damals begleitete sie ihren Vater Juan, einen Philosophie-Dozenten, für mehrere Tage in eine Stadt im Norden Spaniens, in der man Barcelona zu erkennen glaubt.

Dort soll einem langjährigen Freund des Vaters, dem wohlhabenden britischen Historiker Andrew Kopp, ein Wissenschaftspreis überreicht werden. Alle übernachten im selben Grandhotel, auch Kopps Frau. Am Morgen beobachtet Virginia, wie vor dem Hotel ein Mann zwischen zwei parkenden Autos eingeklemmt zu sein scheint und in mehreren Sprachen seltsame Dinge sagt:

"Wie konnte er in dieser Position atmen, reden? Sein Torso, seine Lungen waren zwar nicht gequetscht. Doch in seinem Gesicht war keine Spur von einem Bewusstsein seiner Lage oder dem Willen, seinen Bauch von diesem Druck zu befreien und herauszukommen. [...] 'Er mag solche Spektakel. Unser lieber Bertrand ist Performer.'"

Andrew Kopp erklärt Virginia, dies sei sein Sohn, ein angesehener Künstler, der auch Skulpturen schaffe. Virginia aber kann das nicht glauben: Bertrand, der offensichtlich eine geistige Behinderung hat, soll ein Künstler sein?

So lässt die Spanierin Xita Rubert ihren nicht nur an dieser Stelle rätselhaften, von Friederike von Criegern souverän übersetzten Debütroman "Die Unordentlichen" beginnen. Virginia findet den um die vierzig Jahre alten Bertrand zuerst abstoßend; er macht ihr Angst, als er sie als seine Frau bezeichnet und sie in seiner ungestümen Art aus Versehen an der Hand verletzt.


O-Ton Xita Robert:
"Manchmal denke ich, dass mich in der Literatur wie im Leben nur eines interessiert: das Anormale, das Seltsame. Das, was die meisten Menschen, die ich beobachte, vermeiden oder glattzubügeln versuchen. Wir Schriftsteller legen wohl unser Hauptaugenmerk auf Menschen, die wie die Falte eines ansonsten glattgebügelten Hemdes sind."

Bald interessiert sich Virginia für Bertrand, lernt ihn etwas verstehen, fühlt sich sogar sexuell angezogen von ihm, empfindet Empathie, entdeckt, dass seine Eltern ihn offensichtlich mit Medikamenten für die Preisverleihung durch das spanische Königspaar ruhig gestellt haben.

Der spannende Kniff des Romans: In der Figur des Bertrand spiegelt sich für die erwachsene Ich-Erzählerin und für uns Leser die Figur von Virginias Vater. Denn der wird ein Jahr nach dem Aufenthalt in Nordspanien dement und selbst zu einem Anormalen wie Bertrand. Das erklärt den melancholischen Ton der erwachsenen Ich-Erzählerin:

"Trotz allem, was danach kam – als die Krankheit das Merkwürdige, das Ungewöhnliche meines Lebens mit ihm verschärfte –, wusste ich doch immer, dass mein Vater mich bis zur Sonne liebte, nicht bis zum Mond, grenzenlos und ohne Wiederkehr; dass ich ihm so sehr gefiel wie er mir; dass seine tumben, später kranken Marotten unsere reine Freundschaft nicht auslöschen, nicht entwerten würden. Einem Freund verzeiht man, dass er einem nicht das Schwimmen beibringt, wenn er doch das Schiff ist. Ein versunkenes Schiff, das noch mit dem Mund voller Wasser lacht."

Poetisch und berührend, klug und überraschend – Xita Rubert ist ein wunderbares Romandebüt geglückt. Das fiktive Buch ist auch durch private Erlebnisse der Autorin geprägt:

O-Ton Xita Robert:
"Schon als Kind hatte ich ein Interesse an prekären Situationen, an Situationen, in denen Kranke oder Menschen, die sich anormal benehmen, subtil ausgegrenzt werden. Dieses Interesse hat sich noch verstärkt, als ich die Demenz meines Vaters miterlebt und ihn gepflegt habe. Das Gehirn beginnt zu schrumpfen und sich abzukoppeln. Das ist eine sehr traurige und grausame, aber auch heilige Erfahrung."

Die reichen Kopps, die Eltern Bertrands, erscheinen bald als Menschen, die sich die Wirklichkeit so malen, wie sie sie sich wünschen, und diese Sichtweise ihrem Umfeld aufzwingen. Oder ist Bertrand wirklich ein angesehener Künstler? Ein bisschen von seiner verführerischen Rätselhaftigkeit bewahrt dieser originelle Roman zum Glück bis zum Schluss.