
"Paare" von Maggie Millner
Stand: 03.04.2024, 12:00 Uhr
Die Art über die Liebe zu schreiben, kann genauso einzigartig sein, wie zwischenmenschliche Beziehungen selbst. Maggie Millners literarisches Debüt "Paare. Eine Liebesgeschichte" zeichnet sich durch die Arbeit an Grenzen aus: die der literarischen und die in romantischen Beziehungen. Eine Rezension von Michelle Clermont.
Maggie Millner: Paare. Eine Liebesgeschichte
Versroman.
Aus dem Amerikanischen von Eva Bonné.
Klett-Cotta, 2024.
128 Seiten, 20 Euro.
"Ich dachte, ich müsste den Blick
nie nach innen richten, solange der Blick
auf ihn fiel, den ich liebte.
Ich irrte mich. Ich liebte
alles, was ich sah.
Und dann, eines Tages, sah
ich in einen Spiegel. Und er war nirgends
in dem Spiegel, und sie war überall."
Das Vorwort, das in Maggie Millners Debüt passenderweise die Überschrift "Vorspiel" trägt, greift der Handlung voraus. "Sie": das ist die queere Lektorin, die die Protagonistin eines Abends in einer Bar kennenlernt. Anfangs noch davon überzeugt, dass ihre neue Bekanntschaft sie boring findet, fühlt sich die Erzählerin augenblicklich zu ihr hingezogen. Sie spricht darüber: Mit ihrem Partner, mit dem sie eine langjährige, monogame Beziehung führt, samt gemeinsamer Wohnung und Hauskatze.
Die darauffolgende Handlung, die, wie die gesamte Geschichte retrospektiv geschildert wird, ist schnell erzählt. Von der Intensität ihrer Gefühle überwältigt, trennt sich die Protagonistin von ihrem Freund. Auf Sicherheit und Stabilität folgt nun körperliche Leidenschaft – und Unbeständigkeit.
Denn ihre neue Freundin lebt nicht monogam, sie trifft sich auch noch mit anderen Frauen. Selbstkritisch beobachtet sich die Erzählerin dabei, wie ihre bisherigen Überzeugungen ins Wanken geraten.
"Beim Thema Sex habe ich als Frau
mit starken, auswendig gelernten Meinungen geglänzt;
dünne Kruste über dem Pfuhl meiner Ambivalenz.
Auf Partys verstummte ich immer mehr
und spießte Oliven auf mein Cocktailschwert.
Manchmal küsste ich sie
und schmeckte fast die
andere Frau mit dem kürzeren Haar und den längeren
Beinen, den Achselschweiß, den aprikosengeschwängerten
Rest ihres schweren Parfums. Womöglich
war ich am Ende doch eher bürgerlich."
Für die Komplexität menschlicher Gefühlswelten kreiert Maggie Millner Wortschöpfungen. Da kommt dann etwa "Zigarettenreverie" bei raus. Mehr noch als das, entwirft sie Bilder, die in Versform angelegt, wie kleine Filmausschnitte anmuten.
Mal ironisch distanziert, mal todtraurig, oft gestochen scharf, greifen sie die Widersprüche des menschlichen Daseins auf. Dass auf das Ende einer Beziehung meist kein wohliges Happy End folgt, auch wenn man eine neue, andere Liebe gefunden hat, wird hier realistisch nachgezeichnet.
"Ich traf mich auf Drinks mit Leuten,
die mein Daumen ausgewählt hatte, und meistens
war es sogar ganz nett. Trüben Naturwein trinken,
Knie berühren, über Adrian Piper diskutieren müssen
mit einem Kunststudenten, der sich beim Küssen
als Beißer entpuppte. Aber bald schon schwang
in jedem Gespräch ein zusätzlicher Klang
mit. Ich hörte genauer hin und identifizierte
ihren Namen, und wenn ich mich stark konzentrierte,
hörte ich, könnte man meinen,
in der Frequenz darunter den seinen."
Trotz durchgehender Melancholie sind Millners Texte gänzlich unpathetisch. In ihrem Debüt wechseln sich Gedichte und Prosatexte ab. In Letzteren adressiert sich die Erzählerin selbst, ersetzt das lyrische Ich durch ein Du.
Tatsächlich ist die Auseinandersetzung mit der eigenen Identität ein zentrales Thema des Buches. Auch, was Liebe eigentlich ist, und welche Formen sie annehmen kann. Das Buch antwortet darauf mit literarischer Vielfalt – inhaltlich, wie formal. In diesem Sinne stellt die Erzählerin fest:
"Denn Sexualität gehört immerhin
zu den rein formalen Problemen:
für seine Zeit auf Erden eine Gestalt anzunehmen,
die sich natürlich anfühlt, nicht aufgezwungen,
eine Gestalt, in der das Verlangen
sich vermehren kann, am besten beliebig.
Und ist nicht auch die Liebe an sich
ein Reim? Haben ‚Gender‘ und ‚Genre‘ nicht
denselben Stamm? Vielleicht bin ich wirklich
eine Dichterin und brauche unperfekte Verse,
die ein Ich ergeben, die Lüge vom Sinn."
"Paare. Eine Liebesgeschichte" ist, wie der Titel schon sagt, in erster Linie eine Liebesgeschichte: und gleichzeitig doch mehr. Zentral ist darin die Frage, wie man leben will. In den Beziehungen, die man führt. Aber auch insgesamt, in einer sich verändernden Welt, die vom Klimawandel bedroht ist. Auch dafür findet die Autorin Bilder, die die Gegenwart auf besondere Weise einfangen.
In ihren Gedichten werden sie gewissermaßen konserviert. Dass die Poesie ihrer Texte durch ihre deutsche Übersetzung nicht an Ausdruck verloren haben, ist Eva Bonné zu verdanken.