Hörbuchcover: "Ins Reine" von Michael Krüger

"Ins Reine – Gedichte und Prosa" von Michael Krüger

Stand: 30.11.2023, 12:00 Uhr

Michael Krüger ist eine prägende Figur des deutschen Kulturbetriebs. Als Verlagsleiter und als Autor hat er sich einen Namen gemacht, seine Stimme wird gehört. Zum 80. Geburtstag erscheint im Hörverlag eine Zusammenstellung aus alten und neuen Lesungen seiner Texte. Eine Rezension von Monika Buschey.

Michael Krüger: Ins Reine – Gedichte und Prosa
Gelesen vom Autor.
Der Hörverlag, 2023.
1 CD, 6 Std. und 26 Min. Laufzeit, 24 Euro.

"Ins Reine - Gedichte und Prosa" von Michael Krüger

Lesestoff – neue Bücher 30.11.2023 05:27 Min. Verfügbar bis 29.11.2024 WDR Online Von Monika Buschey


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"Mein Bleistift ist am Ende. Hundert Mal gespitzt, gab er den Geist auf. Sollte mir jetzt etwas einfallen zum Lobe der Menschheit, muss ich es einritzen."

Wäre die Sprache ein Haus mit vielen Räumen, Michael Krüger hätte sie alle besucht und durchmessen. Als Autor, als Lektor, als Vermittler, als Herausgeber, als Freund und Berater anderer Autorinnen und Autoren. Während er den Carl Hanser Verlag leitete, hat er bereits viel geschrieben – Lyrik und Prosa, gerne mit Bleistift.

Nach dieser Zeit, also in den letzten zehn Jahren, noch mehr. Er beschreibt, was er beobachtet: In der Natur, unter Menschen. Vor Lesenden und Zuhörenden breitet er biografische Notizen, Erinnerungen und Gedanke aus. Poetische Verdichtungen, knapp und einleuchtend.

"Die Kälte lief mir nach. Ich hörte sie klirren."

Ein Blick, der das Unbeachtete würdigt und es zur Hauptsache macht.

"Der Sommer hält eine Vorlesung über den Tod und alles hört zu. Am Brunnen steht ein alter Mann und trinkt von der Hand in den Mund, mit sich im Reinen. Die unerträgliche Last, eine Sprache zu finden, die entspricht."

Man ahnt, unter welchen Sorgfaltsmühen das entstanden ist, was im Ergebnis so selbstverständlich und spontan erscheint. Ins Reine – wie der Hörbuchtitel lautet – gelangt ein Text erst, nachdem er sich in der Bleistift-Spur bewährt hat.

"Wenn ich nur wüsste, welche Rolle das Gras in meinem Leben gespielt hat. Als Gras und als Heu."

Ein Bild prägt sich ein, eine Erinnerung steigt auf, und Jahre später finden sich Worte. Die Kindheit bei den Großeltern:

"Mein Großvater war Spezialist für Kartoffeln. Mit den Händen grub er sie aus, zerbrach sie mit den Daumen, die weiß wurden, und ließ mich an der Bruchstelle lecken: Mehlig, gut für Schweine und Menschen."

Der Großvater sei ein Homer der Kartoffel gewesen, schreibt Michael Krüger. Zum Schreiben fand er nicht die Zeit. Da sieht sich der Enkel in der Pflicht.

"Meine Großmutter benutzte die Brennschere, um ihre dünnen Haare zu wellen: Man muss dem Herrgott ordentlich frisiert gegenüber treten. Der kam meistes nachts, wenn ich schon schlafen sollte, setzte sich auf den Bettrand und unterhielt sich mit ihr auf Sächsisch. Beide flüsterten, als hätten sie ein Geheimnis. Manchmal waren sie freundlich zueinander, dann wieder zankte sie mit ihm wie mit dem Großvater, wenn der sein Glasauge neben den Teller legte."

Texte wie sorgfältig ausgearbeitete Werkstücke: Einige klar und nüchtern, andere rätselhaft und geheimnisvoll. Glanzvolle literarische Miniaturen, die sich einprägen.

"Als die Kindheit zu Ende war, hörte das Staunen auf. Ich stand, es war doch erst gestern, am Feldrand, wo Mohn und Kamille mir Märchen erzählten, und starrte, die Hand über den Augen, der untergehenden Sonne nach. In der Linde, älter als Krieg und älter als Frieden, hing der Bürgermeister und hörte, Kopf unter, den Bienen zu. Er hatte es nicht so gewollt."

Zum 80. Geburtstag 6½ Stunden Krüger zum Hören, eine Werkschau. Ein Hochgenuss. Eine Zusammenstellung alter und neuer Lesungen, seine eigene Stimme, gelassen und engagiert zugleich. Er war schon immer einer, der das gesprochene Wort hoch schätzte. Kein Satz, der nicht mit Bedacht geformt würde.

"Schneelos der Himmel. In der Takelage der Reben kommt der Tag ans Licht. Lebensmüd arbeitet vor mir das Holz vom vergangenen Jahr. Wie totgeschlagen die Zeit. Wie geschwollen die Sprache. Das ist in wenigen Worten die wahre Geschichte meines Lebens."