Buchcover: "Der Gott der Landminen“ von Yusef Komunyakaa

"Der Gott der Landminen" von Yusef Komunyakaa

Stand: 19.02.2024, 12:00 Uhr

Mit drastischer Sinnlichkeit und rhythmischer Eindringlichkeit: zum ersten Mal kann das Werk des afroamerikanischen Lyrikers Yusef Komunyakaa auf Deutsch entdeckt werden. Eine Rezension von Dirk Hohnsträter.

Yusef Komunyakaa: Der Gott der Landminen
Aus dem Englischen übersetzt von Mirko Bonné.
Edition Lyrik Kabinett bei Hanser, 2024.
176 Seiten, 24 Euro.

"Der Gott der Landminen" von Yusef Komunyakaa

Lesestoff – neue Bücher 19.02.2024 04:36 Min. Verfügbar bis 18.02.2025 WDR Online Von Dirk Hohnsträter


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"Bruder der Schmeißfliege
& Gottheit, dein Zauber dringt
Über Schlachtfelder,
In Gammelfleischscheiben (…)

Kein Gesetz, keine Macht kann dich entmachten,
Da du alles, was lebt, auseinandernimmst. Kleiner
Beherrscher der Erde, in den Himmel kommt
Keiner, ohne dass erst du ihn überkommst."

Die Rede ist von der Made, der der 1947 in Louisiana geborene, afroamerikanische Schriftsteller Yusef Komunyakaa eine Ode gewidmet hat. Wer diesen Schriftsteller kennenlernen will, bekommt es mit Aasvögeln, Schleimpilzen und anderen unguten Dingen zu tun. Komunyakaa, der in den von Rassismus geprägten Südstaaten aufwuchs und in Vietnam als Kriegsberichterstatter tätig war, beschäftigt sich in seinen Texten mit der gewalttätigen Seite der US-amerikanischen Geschichte.

"Es scheint, wir alle brauchen etwas, das wir töten können, suchen & einfordern, anhäufen,
bis es kreischt in urgewaltigem Dunkel,
etwas, um mit den Göttern zu streiten."

Komunyakaa schreibt über Dreck und Staub, Drogen, Kugeln und Granaten, und er tut dies mit rhythmischer Eindringlichkeit. Wer sich auf seine Texte einlässt, wird das Buch immer wieder beiseite legen, um die gnadenlose Intensität des Gelesenen zu verarbeiten. Diese Texte weichen nicht aus. Hat man ein paar von ihnen gelesen, lösen schon die Titel ein mulmiges Gefühl aus. Sie lauten beispielsweise "Betrachtungen über eine Daumenschraube" oder "Betrachtungen über eine Feile":

"Ich wieg dich, eine Minute in jeder
Hand, die Sonne & den Duft einer
Frau im Sinn, ein Bedürfnis, alles
Platt zu schmirgeln. Du gehörst

Einem Toten, wurdest gemacht,
Damit durchs metallene Schlüsselloch
Licht findet, um Grate abzuraspeln
In härchenfeinen Splitterchen, treu

Nur schrägen, über dein gehärtetes
Rückgrat geschnittenen Kerbungen."

Die Gedichte dieses Buches sind vollgepackt mit Anspielungen auf die antike Mythologie, auf Kunstgeschichte und Philosophie. Zudem zeichnen sie sich durch eine Fülle von Naturbildern aus. Mit bildungsbeflissener, weltabgewandter Poesie haben Komunyakaas Verse allerdings nichts gemein. Hier schreibt jemand, der in den Mythen Urszenen der Gewalt erkennt und die Natur als unheimlich und grausam wahrnimmt. Schon ein paar Krähen am Rand von Maisfeldern traut er nichts Gutes zu:

"Ich weiß, ihr plant
Einen Umsturz der Regierung
Der Spatzen & Eichelhäher, während
Der Hohe Rat der Pirole bibbert in Ahorn

& Schwarzpappel. Eure Sprache
Aus Passwörtern kennt keine Lieder,
Keine Erlösung im zurückgekämmten
Nassen Gefieder, Gelfrisur eines Ganoven."

Wie stets erscheint auch der 55. Band der so verdienstvollen Edition Lyrik Kabinett in buchgestalterisch reizvoller Ausstattung. Eine unbeschwerte oder gar erbauliche Lektüre ist er freilich nicht. Denn die Dichtung von Yusef Komunyakaa versucht zurechtzukommen mit den verstörenden Realitäten unserer Welt. Zu einer Zeit, in der auch in Europa ein brutaler Krieg wütet, vergegenwärtigt sie uns mit drastischer Sinnlichkeit, was in unserer Welt tagtäglich vor sich geht:

"Ein Pulk von Kindersoldaten tanzt
in Frauenkleidern, verirrt im Koks
-glück & ballernd mit Kalaschnikows,
Rambazamba im Stadtrandstaub.
(…) Die Götter klettern höher in die Bäume."