Buchcover: "Griechischstunden" von Han Kang

"Griechischstunden" von Han Kang

Stand: 15.02.2024, 12:00 Uhr

Eine Frau hat ihre Stimme verloren. Sie besucht den Griechisch-Unterricht eines erblindenden Lehrers. Die Beeinträchtigungen, mit denen beide zu kämpfen haben, schaffen eine besondere Verbindung zwischen ihnen. Eine Rezension von Barbara Geschwinde.

Han Kang: Griechischstunden
Aus dem Südkoreanischen von Ki-Hyang Lee.
Aufbau Verlag, 2024.
204 Seiten, 23 Euro.

"Griechischstunden" von Han Kang

Lesestoff – neue Bücher 15.02.2024 05:02 Min. Verfügbar bis 14.02.2025 WDR Online Von Brabara Geschwinde


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Eine sprachbegabte, junge Frau besucht einen Griechisch-Kurs. Allerdings hat sie ihre Stimme verloren, so dass sie die Worte und Sätze nicht sprechen kann. Aber sie erfreut sich an der Schönheit, Schrift und Logik der andersartigen Sprache. 20 Jahre zuvor war sie schon einmal plötzlich verstummt. Da half ihr das Erlernen einer Fremdsprache dabei, ihre Stimme wiederzufinden.

"Als das Kind, das sie vor acht Jahren zur Welt gebracht hatte und für das sie nicht mehr erziehungsberechtigt war, zu sprechen anfing, träumte sie von einem Wort, das alle Sprachen der Welt in sich vereint. Dieser Alptraum war so realistisch, dass sie schweißgebadet aufwachte. Ein Wort von unglaublicher Dichte und Schwere. Es würde sich, sobald es jemand aussprach, sofort aufblähen und in einer Art Urknall explodieren. Jedes Mal, wenn sie wegen des unruhigen Schlafes ihres Kindes an seinem Bett saß und dabei einnickte, träumte sie, dass dieser unfassbar schwere Kristall aus Sprachen sich wie eine kalte Granate in den kräftig kontrahierenden Kammern ihres warmen Herzens einnistete."

Der Verlust der Sprache war nach dem Tod ihrer Mutter und dem Verlust des Sorgerechts für ihren Sohn eingetreten. Der Griechisch-Lehrer der jungen Frau hat mit einem anderen Verlust zu kämpfen; er erblindet allmählich. Dieser Prozess ist langsam, aber unaufhaltsam. Noch kann er mithilfe einer Brille einigermaßen sehen, solange es hell ist, aber dieser Zustand verschlechtert sich. Mit viel Disziplin und guter Vorbereitung kann er seinen Unterricht durchführen:

"Pro Kurs sind es höchstens acht Teilnehmer, darunter Studenten, die sich für Philosophie interessieren, aber auch ältere Menschen, die die unterschiedlichsten Berufe ausüben. Was auch immer die Motivation des Einzelnen ist, sie haben jedenfalls eine Sache gemeinsam. Wer Alt-Griechisch lernt, ist sowohl vom Lern- als auch vom Sprechtempo her eher ein bedächtiger Mensch, der seine Gefühle nicht offen zeigt (ich selbst gehöre auch zu dieser Kategorie)."

Es sind einsame Helden, die Han Kang in ihrem Roman "Griechischstunden" vorstellt. Deren Lebensumstände sind herausfordernd, denn ihre Krankheiten isolieren sie und machen sie einsam.

Zugleich werden die Protagonisten durch ihre Beeinträchtigungen zu Verbündeten. Sie erkennen einander in ihrem gemeinsamen Schmerz. Beiden fehlte die Liebe eines nahestehenden Menschen. Der Lehrer hatte einen gefühlskalten Vater, der ihm die Liebe verweigerte, weil der Sohn nicht seinen Erwartungen entsprach. Und auch die Frau trägt ein dunkles Geheimnis in sich:

"Manchmal hat sie das Gefühl, kein Mensch zu sein, sondern eine wandelbare Materie, mal fest, mal flüssig. Wenn sie heißen Reis isst, fühlt sie sich wie Reis. Wenn sie ihr Gesicht mit kaltem Wasser wäscht, fühlt sie sich wie kaltes Wasser. Dennoch ist sie weder Reis noch Wasser, sondern eine harte, nicht verformbare Masse, die sich mit nichts anderem vermischt. Es gibt zwei Dinge, die sie mit einiger Anstrengung aus dieser kalten Stille herausholen kann; das Gesicht ihres Kindes, das alle vierzehn Tage einmal bei ihr übernachten darf, und die altgriechischen Wörter, wenn sie beim Schreiben den Bleistift fest aufdrückt."

In "Griechischstunden" erzählt die koreanische Schriftstellerin Han Kang vom Menschsein und Menschwerden, erörtert philosophische Fragestellungen und erzählt vom Fremdsein in einer fernen Kultur. Es geht um das Erlernen und die Faszination fremder Sprachen, dazu gehören auch Braille oder die Gebärdensprache. Jede einzelne eröffnet einen anderen Denkraum.

Es geht aber auch um Kommunikation ohne Sprache. Denn Verständigung ist auf verschiedenen Wegen möglich. Im Mittelpunkt von Han Kangs Romanen stehen immer wieder beschädigte Menschen, die ihren Platz im Leben suchen und nach Verbindung mit Anderen und Verständnis.

Auch im gerade von Ki-Hyang Lee aus dem Südkoreanischen übersetzten Roman "Griechischstunden" erzählt sie sehr poetisch und mit vielen Metaphern von Schmerz und Verlust, aber auch von der Möglichkeit der Überwindung von Einsamkeit. Ein berührendes und feines Buch, das Hoffnung macht.