Buchcover: "Karte und Gebiet" von Michel Houellebecq & Louis Paillard

"Karte und Gebiet" von Michel Houellebecq & Louis Paillard

Stand: 27.11.2023, 12:00 Uhr

Michel Houellebecqs erfolgreiches Buch "Karte und Gebiet" als Graphic Novel: Der Illustrator Louis Paillard hat den Künstlerroman in eine opulente Welt aus Zeichnungen und Sprechblasen verwandelt. Eine Rezension von Dirk Fuhrig.

Michel Houellebecq & Louis Paillard: Karte und Gebiet (Graphic Novel)
Aus dem Französischen von Uli Wittmann.
DuMont Verlag, 2023.
165 Seiten, 32 Euro.

"Karte und Gebiet" von Michel Houellebecq & Louis Paillard

Lesestoff – neue Bücher 27.11.2023 05:45 Min. Verfügbar bis 26.11.2024 WDR Online Von Dirk Fuhrig


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Im Zentrum steht ein Tatort: Die Leiche des Schriftstellers Michel Houellebecq wird Monate nach seinem gewaltsamen Tod in einem einsamen Landhaus entdeckt. Der Maler Jed Martin, von der Polizei mit Fotos des zerstückelten Leichnams konfrontiert, interpretiert das grausame Tableau wie ein Kunstkritiker:

"Seltsam, es sieht beinahe aus wie ein Pollock. Aber ein Pollock, der fast monochrom gearbeitet hätte, das ist vorgekommen, aber nicht oft. (…) Gegen Ende des 20. Jahrhunderts nutzten viele Künstler ihre eigenen Körper für künstlerische Zwecke, und manche Vertreter der Body Art beriefen sich auf Pollock. Aber die Körper Anderer. Diese Grenze haben nur die Wiener Aktionisten in den 1960ern überschritten."

In "Karte und Gebiet" inszeniert sich der Schriftsteller Michel Houellebecq als Romanfigur: Ein seltsamer Kauz, der in einer verlassenen Gegend vor sich hin vegetiert - und schließlich in einer Art Ritualmord ums Leben gebracht wird.

Damit packt der Autor sein Image in der Öffentlichkeit, das er selbst und die Medien von ihm seit dem Bestseller "Elementarteilchen" über ein Jahrzehnt hinweg geprägt hatten, in hochironischer Weise in einen Küstlerroman: der saufende, rauchende, schrullige Großschriftsteller als Gesamtkunstwerk.

Gleichzeitig erfindet Houellebecq die Figur des genialischen Malers Jed Martin, den man als eine Parodie der als Popstars verehrten und teuer gehandelten Künstler vom Schlage Damien Hirsts oder Jeff Koons’ interpretieren kann. Im „Epilog“ arbeitet Jed Martin an einem Doppelporträt dieser beiden Malerfürsten: 

"Schon seit drei Wochen arbeitete Jed am Gesichtsausdruck von Koons, als wollte man einen pornografischen Mormonen malen."

Es ist eine naheliegende, aber nichtsdestoweniger geniale Idee, einen Roman, der einen berühmten Maler in den Mittelpunkt stellt, auch visuell umzusetzen. Louis Paillard ist eigentlich Architekt, daher kann er auch zeichnen. Aber wir haben es hier nicht mit ein paar Illustrationen zu tun, die die Romanhandlung umranken.

Paillard kondensiert die mehr als 400 Seiten des Romans auf gut ein Drittel, indem er die Handlung nicht einfach brav abbildet, sondern sich auf Schlüsselszenen konzentriert. Mit den Ausschnitten aus dem Originaltext, die parallel abgedruckt sind, treten die Zeichnungen in einen Dialog, sie ergänzen einander und führen den Plot weiter.

Wundervoll sind Paillards Darstellungen von blasiert auf Vernissagen herumlungernden Kulturmenschen, von schwarzbebrillten Pariser Intellektuellen oder leicht angedickten Polizisten, die versuchen, Licht in die seltsame Tat zu bringen.

Besonders beeindruckend sind die farblich angelegten Episoden, die mitunter wirken, als könnten sie das Werk eines zeitgenössischen Malers sein. "Bill Gates und Elton John unterhalten sich über die Zukunft der Informatik" heißt eines dieser Tableaus. Oder schwarz-weiß gefleckte Kühe vor einer orangeroten Landschaft.

"Karte und Gebiet" ist nämlich nicht nur ein Künstlerroman, sondern auch einer über den Gegensatz von Stadt und Land, Moderne und Tradition. Ein Thema, das bei Houellebecq schon seit seinen ersten Veröffentlichungen immer wieder auftaucht.

"Jed machte sich keine Illusionen darüber, wie ihn die Bewohner des Dorfes, in dem seine Großeltern gelebt hatten, aufnehmen würden. Für die Einheimischen war jemand aus Paris etwa so ausländisch wie ein Norddeutscher oder ein Senegalese; und für Ausländer hatten sie nun einmal nichts übrig."

Louis Paillard bringt den bissigen Spott des Schriftstellers Michel Houellebecq zeichnerisch kongenial auf den Punkt - wenn er, wie hier in dieser Dörfler-Szene, den Text mit einer leeren Seenlandschaft illustriert, die im ersten Moment idyllisch wirkt, aber ins Bedrohliche kippt, sobald das ins Gelände geduckte Bauernhaus ins Bild rückt.

Kleiner Nachteil dieses herrlichen Bild-Bands: Er ist ein bisschen schwer zu handhaben. Da im Querformat, muss man die Seiten von unten nach oben aufblättern; statt von rechts nach links. Das macht die Lektüre, rein ergonomisch betrachtet, etwas umständlich, aber diese Mühe nimmt man wirklich sehr gern auf sich.

"Karte und Gebiet" ist ein berückend schönes Maler-, Künstler- und Zeichen-Buch, das die schon 2010 verfasste schneidende Gegenwartsanalyse des französischen Meister-Schreibers Houellebecq wie in einem Brennglas noch einmal ganz aktuell erscheinen lässt.