Buchcover: "Wie das Leben so spielt" von Ilse Helbich

"Wie das Leben so spielt" von Ilse Helbich

Stand: 23.10.2023, 12:00 Uhr

"Wie das Leben so spielt" der 1923 geborenen Ilse Helbich enthält drei Erzählungen – Dorfgeschichten sind das, bei denen man sich aber keine reine Idylle vorstellen sollte. Alle drei haben einen doppelten Boden, und eine entwickelt sich sogar zum veritablen Krimi. Eine Rezension von Ulrich Rüdenauer.

Ilse Helbich: Wie das Leben so spielt
Droschl Verlag, 2023.
80 Seiten, 19 Euro.

"Wie das Leben so spielt" von Ilse Helbich

Lesestoff – neue Bücher 23.10.2023 05:14 Min. Verfügbar bis 22.10.2024 WDR Online Von Ulrich Rüdenauer


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Ilse Helbich habe ich vor gar nicht allzu langer Zeit entdeckt, mit einem Buch, das ein unscheinbares, aber betörendes Kunststück ist: "Das Haus" erzählt nämlich von einem Aufbruch in ein anderes Leben. Eine Frau zieht mit Mitte 60 aufs Land, richtet sich in einem eher mitleiderregenden Haus ein, dessen Geschichte sie nach und nach entziffert, das sie saniert und zu ihrem Refugium umbaut.

Wie sie darüber schreibt, voller Zuversicht und Versunkenheit in die Dinge des Alltags, das ist schön und poetisch und nicht im Geringsten sentimental. 2009 kam dieses Buch heraus. Es war ihre dritte Veröffentlichung.

Ihr erster literarischer Text "Schwalbenschrift" war 2003 erschienen – zu ihrem 80. Geburtstag. Erst im Alter also, heraus aus der Ehe und beruflichen Verpflichtungen, wurde sie zur Schriftstellerin. Und sie ist es bis heute geblieben.

Notate und Erzählungen hat sie veröffentlicht, einen Band mit Gedichten, elegische Texte mit Beobachtungen, die von bewundernswerter Hellsicht zeugen, oftmals gelassen vom Altwerden sprechen. Als "Umzugsbeschreibung" hat sie den Übergang ins Alter einmal charakterisiert: Von einer Lebensgeschwindigkeit gehe es hinein in eine andere Art des Daseins, des Schauens, des Atmens.

Jetzt, zu ihrem 100. Geburtstag am 22. Oktober, kommt ihr neues Buch, von dem sie sagt, es sei ihr letztes, aber man möchte das nicht glauben: Denn die drei Erzählungen in "Wie das Leben so spielt" klingen nicht nach Abschied; sie haben jene "zarte Wucht", von der Peter Handke einmal schrieb, nachdem er eines ihrer Bücher gelesen hatte.

"Als sich das Professorenpaar Lehne, die beide an zwei verschiedenen Kremser Gymnasien unterrichtet hatten und in der Stadt eine bequeme Wohnung besaßen, dem Pensionsalter näherte, beschlossen sie, die Kremser Wohnung aufzugeben und aufs Land zu ziehen."

So beginnt die längste der drei Erzählungen: "Wie das Leben so spielt". 50 Seiten ist sie lang. Wie die beiden anderen Geschichten ist sie in dem fiktiven Dorf Scharberg angesiedelt, das Ähnlichkeit hat mit Ilse Helbichs Wahlheimat Schönberg am Kamp. Das Professorenpaar übernimmt von den Vorbesitzern die altgediente Haushälterin, Frau Riedl.

Die Jahre vergehen, das Leben plätschert vor sich hin, aber mit dem Tod eines Hundes und dem Tod von Frau Lehne verschiebt sich nicht nur die Perspektive der Geschichte hin zur Haushälterin. Sie nimmt auch eine unvorhergesehene Wendung, der eine gewisse Rabiatheit und kriminelle Energie innewohnt. Ilse Helbich bereitet diese Überraschung sanft und fast unbemerkt vor, aber so, dass die plötzliche Dynamik der Handlung nicht willkürlich oder unmotiviert erscheint.

"Der Fremde" wiederum, nur 15 Seiten lang, erzählt vom überraschenden Glück einer alten Frau, die einen hilfsbereiten Mann bei sich einziehen lässt, ohne Misstrauen und Hintergedanken. Und die schließlich in ihm einen Seelengefährten findet – ganz zum Unbehagen der erwachsenen Tochter, die bei ihrem Besuch der Mutter diesen Mann ausreden will. Es gelingt ihr nicht. Im Gegenteil, noch enger scheint das reife Paar danach verbunden – fast märchenhaft das Ende:

"Und wenn die beiden nicht gestorben sind, so leben sie noch heute in Scharberg, Hauptstraße Nummer 5."

Scharberg ist auch der Schauplatz der dritten, kürzesten Erzählung "Die Welten". Auch sie handelt von einem Fremden, der nach Scharberg kommt – Helbich hat ein Gespür für die Vorurteile, die den Zugezogenen entgegengebracht werden. Nur der zwölfjährige Hansi wendet sich dem Sonderling interessiert zu, bis es ihm vom Vater verboten wird.

Jahrzehnte später findet Hans, längst selbst gestandener Landwirt, im Haus, in dem der Fremde einst wohnte, ein Schulheft. Er weiß damit nichts anzufangen und gibt es seiner Tochter. Sie soll es einmal lesen, wenn sie größer ist.

"Das ist ein gutes Ende dieser langen Geschichte, nicht wahr? Denn es genügt ja, wenn jedes Niedergeschriebene und jedes Gedruckte auch nur einen einzigen aufmerksamen Leser finden würde."

Schön, dass Ilse Helbichs Niedergeschriebenes mehr als nur einen einzigen Leser findet.