Buchcover: "Gebranntes Kind sucht das Feuer" von Cordelia Edvardson

"Gebranntes Kind sucht das Feuer" von Cordelia Edvardson

Stand: 22.08.2023, 07:00 Uhr

Cordelia Edvardson musste nach Auschwitz, weil ihrer Mutter ihr eigenes Leben wichtiger war. Jahrzehnte später legte die Tochter der Schriftstellerin Elisabeth Langgässer mit "Gebranntes Kind sucht das Feuer" ihre Erinnerungen vor: eine literarische Wiederentdeckung. Eine Rezension von Oliver Pfohlmann.

Cordelia Edvardson: Gebranntes Kind sucht das Feuer
Aus dem Schwedischen von Ursel Allenstein. Mit einem Nachwort von Daniel Kehlmann.
Hanser Verlag, 2023.
136 Seiten, 22 Euro.

"Gebranntes Kind sucht das Feuer" von Cordelia Edvardson

Lesestoff – neue Bücher 22.08.2023 05:20 Min. Verfügbar bis 21.08.2024 WDR Online Von Oliver Pfohlmann


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Mutter und Tochter

Wer etwas Schreckliches überlebt hat, hat meist das dringende Bedürfnis, seine Angehörigen zu kontaktieren. Nicht so Cordelia Edvardson. Die Tochter der Schriftstellerin Elisabeth Langgässer wurde als Sechzehnjährige aus Auschwitz befreit und vom Roten Kreuz nach Stockholm gebracht.

Dort ließ sich die junge Frau ein ganzes Jahr Zeit, bis sie ihrer Mutter in Berlin eine Nachricht schickte. Elisabeth Langgässer hingegen reagierte umgehend: Zuerst schrieb sie das Gedicht "Frühling 1946", ein ihrer Tochter gewidmeter Jubelschrei voller Pathos und mythologischer Anspielungen. Dann sandte sie Cordelia einen Brief mit einer Bitte.

"Sie arbeite an einem neuen Roman, schrieb sie, darin komme eine junge Frau vor, die in Auschwitz gewesen sei, eine Überlebende. Es sei wichtig, dass die Details in der Erinnerung der jungen Frau stimmten, denn dann sei sie, die Mutter, in der Lage, sie nachzudichten. Ob die Tochter ihr schreiben und von ihrem Alltag in Auschwitz erzählen könne? (…) Die Tochter antwortete, berichtete, so gut sie konnte. Als sie den Roman der Mutter später las, erkannte sie ihre Erinnerungen nicht wieder. Es war zu viel und doch zu wenig, es wurde vom Feuer gesprochen, aber über die Asche geschwiegen."

Eine besondere Wiederentdeckung

Es sollte noch Jahrzehnte dauern, bis Cordelia Edvardson ihre eigenen Erinnerungen vorlegte. "Gebranntes Kind sucht das Feuer", so der Titel, erschien erstmals 1984, geriet bald aber wieder in Vergessenheit. Dass dieses große Holocaust-Zeugnis vom Range eines Primo Levi oder Imre Kertész nun wiederentdeckt werden kann, ist vor allem Daniel Kehlmann zu verdanken.

Kehlmann hatte vor zwei Jahren in seiner Dankesrede für den Elisabeth-Langgässer-Preis an dieses Werk erinnert – und an den schier unfassbaren Mutter-Tochter-Konflikt, von dem es erzählt.

Viele Familiengeheimnisse

Die spätere Cordelia Edvardson kam 1929 zur Welt. Sie war die Folge einer Affäre ihrer Mutter mit dem jüdischen Staatsrechtler Hermann Heller. Da Elisabeth Langgässer selbst eine, im NS-Jargon, 'Halbjüdin' war, galt ihre katholisch erzogene Tochter im Dritten Reich daher als 'Dreivierteljüdin'.

Der Alltag der kleinen Cordelia war deshalb von Schamgefühlen und einer dem Kind unverständlichen Geheimnistuerei der Familie geprägt. Hinzu kam das klaustrophobische Leben mit einer dominanten Mutter, die ebenso mythengläubig wie naiv war.

Eine unmögliche Wahl

1943 dann versuchte die Mutter ihre Tochter vor der drohenden Deportation zu retten: Mittels einer Adoption verschaffte sie der damals 14-Jährigen die spanische Staatsbürgerschaft. Die Folge war eine gemeinsame Vorladung bei der Gestapo, bei der die Tochter vor eine unmögliche Wahl gestellt wurde: Entweder unterwarf sie sich "freiwillig" den Rassegesetzen der Nazis, ließ sich also deportieren, oder man würde ihre Mutter des Hochverrats anklagen.

"Das Mädchen blickte erneut zur Mutter und begegnete dem Ausdruck in ihren schönen braunen Augen; Augen, die mit einer Intensität strahlen und das Mädchen verzaubern konnten, die jetzt aber bis zum Rande gefüllt waren mit einem stummen, hilflosen Schmerz. Niemand sagte etwas, nichts musste gesagt werden, es gab keine Wahl, es hatte nie eine Wahl gegeben, sie war Cordelia, die ihren Treueschwur hielt (…). Die Worte blieben ihr im Hals stecken, doch schließlich brachte sie sie hervor: „Ja, ich unterschreibe.'"

Distanz und Kontraste

Cordelia Edvardsons Erinnerungswerk umfasst gerade einmal 130 Druckseiten. Auffallend sind der völlige Verzicht auf Pathos sowie ein unversöhnlicher Ton, der heutige Leser und Leserinnen an Ruth Klüger erinnert. Konsequent erzählt die Autorin ihre Erinnerungen in der dritten Person, schreibt von sich selbst nur als "das Mädchen" oder "die Tochter".

Neben dem Mittel der Distanzierung fällt das der Kontrastierung auf; immer wieder wechseln zwei Zeitebenen einander ab: zum einen die Jahre vor der Deportierung in Berlin, als die kleine Cordelia so gern wie alle anderen gewesen wäre und die Schläge des Stiefvaters sie auf die Gewalt in den Lagern vorbereitete. Und zum anderen, wie dazwischen geschnittene Szenen in einem Film, die späteren Erlebnisse erst in Theresienstadt, dann in Auschwitz, wo sie zeitweilig als Schreibkraft für den KZ-Arzt Josef Mengele arbeiten musste.

Nach Krieg und Befreiung sollten sich Mutter und Tochter nur noch ein einziges Mal wiedersehen. Daniel Kehlmann schreibt dazu in seinem lesenswerten Nachwort lakonisch: "Man hat keinen Grund zu vermuten, dass das Treffen besonders innig verlief."