Buchcover: "Rosenroman" von Zoltán Danyi

"Rosenroman" von Zoltán Danyi

Stand: 28.11.2023, 12:00 Uhr

Der Rosenzüchter Zoltán Danyi erzählt auf ausschweifende Art von Rosen, Neurosen und der Rettung ins Erzählen. Eine Rezension von Andreas Wirthensohn.

Zoltán Danyi: Rosenroman
Aus dem Ungarischen von Terézia Mora.
Suhrkamp, 2023.
441 Seiten, 26 Euro.

"Rosenroman" von Zoltán Danyi

Lesestoff – neue Bücher 28.11.2023 05:48 Min. Verfügbar bis 27.11.2024 WDR Online Von Andreas Wirthensohn


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Wohl kaum eine Pflanzengattung ist literaturgeschichtlich so produktiv wie die der Rosengewächse. Der mittelalterliche Rosenroman gehört zu den bedeutendsten Literaturzeugnissen Frankreichs und inspirierte noch Umberto Eco zu seinem Weltbestseller "Der Name der Rose". In der Lyrik finden sich Goethes Heideröslein und Gertrude Steins berühmter Vers "Rose is a rose is a rose is a rose".

Die Romantik setzte der Rose vor allem im Märchen so manches Denkmal, und wer Adalbert Stifters "Nachsommer" gelesen hat, weiß gut Bescheid über die mitunter etwas ermüdenden, aber charakterbildenden Feinheiten der Rosenzucht. Die literarische Rose ist dabei Sinnbild für vieles: Sie steht für die Frau als solche, für die Liebe und die Sexualität, dafür, wie wichtig Disziplin und Strenge für die Identitätsfindung sind.

In Zoltán Danyis Rosenroman ist die Rose zunächst einmal – ganz profan – ein Produkt, mit dem der Vater des Erzählers seinen Lebensunterhalt verdient. Er verkauft Rosen und vor allem Rosenstöcke ins Ausland, wobei sein Sohn eher widerwillig in der väterlichen Rosenzucht mithilft. Als der Krieg ausbricht und Serbien mit einem Handelsembargo belegt wird, transportiert der Ich-Erzähler trotzdem Rosen ins benachbarte Ausland. Eines Tages aber bekommen diese Pflanzen für ihn noch eine ganz andere Bedeutung:

"Ich fing an die Rosen zu lieben, als mir die Hautärztinnen sagten, dass ich einen Tumor am Schwanz habe. In den nächsten Wochen holten die Rosen alles von mir herunter, erst griffen sie die aus grobem Stoff gemachte Arbeitskleidung an und kratzten an meiner Haut, und schließlich drangen sie sogar unter die Haut. Das brauchte ich, die Dornen, dass sie mich stachen, dass sie mich kratzten, mich schnitten, weil ich es mir so zurechtlegte, dass, wenn die von den Rosen verursachten Wunden anfingen zu verheilen, sich auch die Wunden auf meinem Schwanz schließen würden, und es gab noch etwas, weswegen ich die Rosen brauchte, denn die Wahrheit ist, dass ich Angst hatte, ich hatte furchtbare Angst, aber die Angst ließ nach, schwächte sich ab und ging manchmal ganz vorbei, wenn ich bei den Rosen war, und es kann sein, dass ich in den nächsten Wochen deswegen so viel mit den Rosen arbeitete, um keine Angst haben zu müssen, und während ich arbeitete, kratzten mich die Parkrosen, die Kletterrosen und die Schnittrosen blutig, wenn ich mit der Schere zwischen die Zweige langte, um die Wildtriebe abzuschneiden oder um Zweige fürs Okulieren zu ernten."

Drei Operationen muss der Arme über sich ergehen lassen, und dass wir im Zuge dessen ausgiebig und detailliert über seltsame Flecken an der Penisspitze, schmerzhafte Erektionen und Probleme beim Urinieren informiert werden, erscheint nur auf den ersten Blick irritierend. Denn der Erzähler befindet sich in einer tiefen Lebenskrise: Er hat keine ordentliche Arbeit, die Frau ist auf und davon, er hat kein Kind und das Gefühl, dass nichts aus ihm geworden ist.

Sein Leben, er empfindet es als zerrissen, zerbrochen, wieder und wieder stecken geblieben, und eigentlich sehnt er sich nach nichts mehr als nach einem leisen, gleichmäßig verlaufenden Leben. Diese Krise manifestiert sich vor allem in fortwährenden Angstgefühlen, und die versucht der Erzähler mit Zwangshandlungen zu bekämpfen. Ständig zählt er irgendwelche Dinge um sich herum: wie viele Treppenstufen zwischen zwei Etagen liegen, wie viele Vögel am Fenster vorbeifliegen, wie viele Personen in einem Lokal sitzen. Je nach Summe verheißt die Zahl entweder Gutes oder Schlechtes. Und er setzt sich immer wieder seltsame Regeln,…

"…dass ich dieses oder jenes tun muss oder im Gegenteil, dass ich dieses oder jenes so lange nicht tun darf, bis gewisse Bedingungen nicht erfüllt sind, oder im Gegenteil, bis gewisse Umstände nicht mehr bestehen."

So steht er am Fenster, bis die Sonne hinterm Horizont verschwunden ist, oder schweigt tagelang, weil andernfalls ein Unglück droht. Von der Rose zur Neurose ist es in diesem Roman nicht weit, und doch folgt man diesem Ich nach anfänglichem Befremden zunehmend gebannt hinein in sein Erzählen, das den eigenen Gemütszustand nicht nur beschreibt, sondern auch formal abbildet.

Es folgt dem Prinzip der Wiederholung, denn um Dinge zu verstehen, muss der Erzähler sie immer und immer wieder sagen. Das Erzählen bekommt dadurch etwas Beschwörendes, es soll die Dämonen des eigenen Lebens bannen, und die soghafte Intensität des Textes zeigt sich in den vielen schier endlosen Sätzen, die sich oft über mehr als eine Seite winden, ehe sie in einem Satzpunkt kurzzeitig zur Ruhe kommen. Terézia Mora hat dieses rauschhaft-pulsierende Hin und Her zwischen Magie und Manie, zwischen Erzählzwang und Erlösung durch das Erzählen auf phänomenale Weise ins Deutsche übersetzt.

Dass am Ende das Meer, die Rosen und das eindringliche Erzählen davon für Heilung sorgen oder zumindest dafür, dass der Erzähler sein früheres Ich weitgehend hinter sich lassen kann – auch das macht diesen zutiefst eigensinnigen Roman zu einem ganz bemerkenswerten Stück Rosen-Literatur.