Buchcover: "Der Leuchtturm" von Jean-Pierre Abraham

"Der Leuchtturm" von Jean-Pierre Abraham

Stand: 22.02.2024, 12:00 Uhr

Das Leben auf einem Leuchtturm in der Bretagne, es sind die frühen 60er Jahre, die Arbeit ist gefährlich, die Einsamkeit fast vollkommen – davon erzählt Jean-Pierre Abraham in seinem gefeierten Buch "Der Leuchtturm", das nun in einer Neuausgabe vorliegt. Eine Rezension von Ulrich Rüdenauer.

Jean-Pierre Abraham: Der Leuchtturm
Aus dem Französischen und mit einem Nachwort von Ingeborg Waldinger.
Jung und Jung, 2024.
192 Seiten, 22 Euro.

"Der Leuchtturm" von Jean-Pierre Abraham

Lesestoff – neue Bücher 22.02.2024 05:38 Min. Verfügbar bis 21.02.2025 WDR Online Von Urlich Rüdenauer


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Wer sich an der bretonischen Atlantikküste schon mal den Wind um die Nase hat pfeifen lassen, dürfte ein Gespür dafür haben, wie es sich auf Armen anfühlte: Armen bedeutet Fels oder Stein und ist der Name für einen im 19. Jahrhundert erbauten Leuchtturm, der 30 Kilometer vom Land entfernt mitten im Meer liegt. Gegen diesen Vorposten peitschen die Wellen so heftig, dass Boote ihn nur bei absolut ruhiger See anfahren können. Die 100 Quadratmeter des Felsens sind nicht selten überspült, das 33,5 Meter hohe Gebäude ist den Stürmen fast schutzlos ausgeliefert. "Enfer", also "Hölle", heißen solche auf kleinen Inseln errichteten Leuchttürme seit jeher, und nicht ohne Grund trägt Armen den Ehrentitel "Hölle der Höllen".

1959 machte sich der junge Schriftsteller Jean-Pierre Abraham nach Armen auf. Fünf Jahre lang blieb er dort als Leuchtturmwärter, abgesehen von wenigen kurzen Landaufenthalten. 1967 legte er eine Art Tagebuch dieser Zeit vor, das die Monate November bis Mai eines undatierten Jahres umfasst. Und das ihn in Frankreich bekannt machte. Auf Deutsch erschien dieses faszinierende, existentialistisch schillernde Buch erstmals 2010 in der Übersetzung von Ingeborg Waldinger. Nun ist – zum Glück – eine Neuauflage erhältlich, ergänzt um ein profundes Nachwort Waldingers, in dem sie die Genese dieses "Kultromans" ebenso schildert wie sie auch einzelne hervorstechende Motive beleuchtet. Etwa das des Lichts und einer Lampe, der im "Leuchtturm" die Rolle einer "Gefährtin in der Einsamkeit" zukommt, eines "Mediums des Tagtraums und der Erinnerung". Manchmal ist es ein feindliches Licht, manchmal ein wärmendes Kaminfeuer.

"Dieses leidenschaftliche Interesse für das Licht! Soll das etwa das Leben sein: im Schein einer Lampe ein altes, von Craquelés überzogenes Bildnis zu betrachten, währenddessen der Außenraum auf Leben und Tod erbebt, die See wahnwitzig tobt?"

Das Leben, der Sinn des Lebens – nichts weniger wird bei Abraham verhandelt. Die Aufwallung der Naturgewalten, der Rückzug ins Innere des Leuchtturms, dieser Kapsel – als fände da eine Verkapselung des eigenen Ichs inmitten der Unheimlichkeit des Meeres statt: Der Erzähler will an einen extremen Punkt gelangen, innerlich wie äußerlich, um etwas zu erfahren, um sich zu erfahren, um vielleicht auch die Sinnlosigkeit schlechthin zu erfahren. Hier liegt der Ausgangspukt seines Schreibens, dem er sich zwischen der Arbeit und dem Schlaf hingibt: Diese Erfahrungssuche erfordert eine Genauigkeit der Bilder, ein gewisses Pathos auch, so wie die täglichen Verrichtungen im Turm Präzision verlangen und eine romantisch-körperliche Anmutung haben. Es ist ein Experiment, an dem der Wärter teilhat, etwas Bedeutsames, von dem er aber nicht sagen kann, was es ist. Er weiß nur, dass er hier an seinem "wahren Platz" angelangt ist, "heimgekehrt".

"Erst wenn die Leidenschaft, die mich bei meiner Arbeit antreibt, in mir auf einen vergleichbar starken Antrieb stößt, mich gleichzeitig von diesem losmacht, erst dann werde ich endlich existieren; werde zerrissen, durchdrungen, lebendig sein."

Die Arbeit – das bezeichnet einerseits das Schreiben, andererseits die Verrichtungen am Turm: Immer muss etwas kontrolliert, ausgebessert, instandgehalten werden; es geht treppauf, treppab. Der Druck des anbrandenden Wassers ist dabei immer spürbar, eine fortwährende Gefahr, einmal dringt es in den Turm ein. In der Küche begegnet er dem anderen, für ein paar Wochen Dienst tuenden Wärter, und das Verhältnis der ungleichen Partner schwankt zwischen Fremdheit und unbedingtem Vertrauen. Einmal werden die Wände gestrichen, dann die Messingteile poliert. Drei Bücher hat der Erzähler bei sich, einen Bildband über Jan Vermeer, einen weiteren über ein Zisterzienserkloster und einen Gedichtband von Pierre Reverdy.

"Ich kenne diese Bücher auswendig, brauche sie nicht, kann mich aber auch nicht von ihnen trennen. Als müsste ich durch sie hindurch, um jene wahrhafte Einsamkeit zu erreichen, über die es nichts mehr zu sagen gibt."

Diese wahrhafte Einsamkeit teilt sich in den poetischen Zeilen Abrahams mit, "die unschuldige Kälte, die aberwitzige Angst", wie es einmal heißt. All diese existentiellen Gefühle zu durchleben scheint die Voraussetzung für eine ersehnte Rettung zu sein. Was diese beinhaltet, Erlösung oder vollkommene Hoffnungslosigkeit, das mag der Erzähler vielleicht selbst nicht zu beantworten.