Maria Theresia ist gerade 23 Jahre alt, eine fröhliche, selbstbewusste Frau, die mit ihrem geliebten Mann Franz Stephan von Lothringen bereits drei Kinder hat. Von den Regierungsgeschäften ihres Vaters hat sie keine Ahnung. Doch als Kaiser Karl VI. am 20. Oktober 1740 überraschend ohne Sohn stirbt, steigt seine älteste Tochter über Nacht zur Erzherzogin von Österreich, Königin Ungarns und Böhmens und der Habsburgischen Erblande auf.
Einen Monat vor ihrer Geburt 1713 hatte Karl VI. die uralten Erbfolgegesetze des Hauses Österreich geändert. Mit der Pragmatischen Sanktion wurde auch die weibliche Thronfolge möglich. Nun, nach Karls Tod, wollen die Nachbarstaaten von ihrer teuer erkauften Zustimmung zur Pragmatischen Sanktion nichts mehr wissen. Zu günstig erscheint die Gelegenheit, die Schwäche der unerfahrenen Maria Theresia zu nutzen, um sich auf Kosten Österreichs zu bereichern.
Aufgeklärte Reformerin
So ist die junge Herrscherin schon bei ihrer Thronbesteigung von Feinden umringt - allen voran Friedrich II. Der fast gleichaltrige König von Preußen lässt seine moderne Armee noch im Dezember 1740 gegen jedes Recht Schlesien annektieren. Maria Theresia kann Friedrich nicht zurückschlagen und muss Schlesien 1742 abtreten. Doch sie lernt schnell aus ihren Rückschlägen, handelt geschickt Bündnisse mit Frankreich, Bayern und Sachsen aus und kann so den aggressiven Friedrich in Schach halten. Bald ist sie im Konzert von Europas Mächtigen anerkannt und kann sich als rechtmäßige Thronerbin durchsetzen.
1745 wird Franz Stephan von Lothringen zum Kaiser gewählt. Maria Theresia verzichtet auf ihre Krönung, behält aber dennoch alle Machtfäden in der Hand. Während ihr politisch uninteressierter Mann mit großem Geschäftssinn die Finanzen des Hauses Habsburg saniert, setzt Maria Theresia, vom Geist der Aufklärung geprägt, umfangreiche Reformen in ihrem Reich um. Adel und Kirche müssen erstmals Steuern zahlen, so dass sie ihre Armee verdoppeln kann. Sie strafft die Verwaltung, führt die allgemeine Schulpflicht ein und verbietet die Folter. Ihre stetig wachsende Familie umhegt die Monarchin mit strenger Fürsorge. 16 Kinder bringt Maria Theresia zur Welt. Ihr Erstgeborener wird als Joseph II. ihr Thronfolger, ihre jüngste Tochter Marie-Antoinette endet als Ehefrau König Ludwigs XVI. von Frankreich unter der Guillotine.
Späte Reaktionärin
Im Siebenjährigen Krieg ab 1756 bringt Maria Theresia im Bündnis mit Russland den Preußenkönig an den Rand der totalen Niederlage. 1763, im Frieden von Hubertusburg, muss sie aber den endgültigen Verlust Schlesiens anerkennen. Ihre kaiserliche Hegemonie im Römisch-deutschen Kaiserreich bleibt unumstritten, ebenso wie ihre Macht innerhalb des Hauses Habsburg. Als der unverzichtbare Gemahl Franz Stephan 1765 stirbt, lässt Maria Theresia in ihrer Verzweiflung ihr Schlafzimmer mit grauer Seide auskleiden, verschenkt ihren gesamten Schmuck und trägt zeitlebens nur noch Trauer. Von nun an regiert sie gemeinsam mit ihrem radikal-reformerisch gesinnten Sohn Joseph II.
Die einst aufgeklärte Monarchin und verehrte Landesmutter wandelt sich zur herrischen Matrone mit strengsten Moralvorstellungen. Getrieben von religiöser Intoleranz geht sie gegen Juden und Protestanten vor. "Ihre Judenverfolgung", urteilt die Habsburger-Expertin Brigitte Hamann, "war auf ihrer Biografie ein ganz schwarzer Fleck." Nach 40 Jahren auf dem Thron stirbt Maria Theresia von Österreich am 29. November 1780. Bestattet wird sie nebem ihrem Mann in einem prachtvollen Doppelsarkophag in der Wiener Kapuzinergruft. Selbst ihr ärgster Feind Friedrich II., der ihr in drei Kriegen Schlesien geraubt hat, zollt der toten Kaiserin Respekt: "Sie hat ihrem Thron und ihrem Geschlecht Ehre gemacht."
Stand: 20.10.2015
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