Vom Vorschlag des Joseph Carl Selliers ist Maria Theresia von Österreich zunächst alles andere als begeistert. Nach dem Tod ihres Vaters hat die 23-jährige Erzherzogin eine allgemeine Theatersperre verhängt. Und ausgerechnet jetzt unterbreitet ihr der ehemalige Tänzer den Vorschlag einer Bühne direkt in ihrer Wiener Nachbarschaft. Selliers organisiert nicht nur die Festaktivitäten des Hofes, er beherrscht auch die Bretterbuden des Volkstheaters. Und er ist ein redegewandter Mann, der zu überzeugen versteht. Am 14. März 1741 unterschreibt Maria Theresia den Pachtvertrag für ein "Hoftheater nächst der Burg", das damit zum zweitältesten Sprechtheater Europas wird. Mit der Unterzeichnung beugt sie sich auch den Wünschen des Adels, der ob der fehlenden Vergnügungen zu murren beginnt. "Spectacle müssen halt sein" soll sie geseufzt haben.Das "Hoftheater nächst der Burg" findet in einem leer stehenden Ballhaus eine erste Heimat. Bespielt wird die Bühne von fahrenden Truppen. Erst später entsteht ein festes Ensemble. Selliers' Konzept ist revolutionär: Erstmals sollen Bürger und Adelige gemeinsam im Zuschauerraum sitzen. Aber das Repertoire aus Opern und Balletten ist zu sehr auf das höfische Publikum zugeschnitten, die Bürger bleiben aus. Nach nur fünf Jahren gibt Sellier das Burgtheater an Maria Theresia zurück. Die aber hat inzwischen Gefallen an der Bühne gefunden. Unter ihr soll das Haus zur gut kontrollierten moralischen Anstalt werden: "Im Theater soll das Volk feinere Sitten lernen." Schmutzige Wörter sind verboten, die Kaiserin lässt sich über den Spielplan "minutissime referieren".Maria Theresias Sohn Joseph II. treibt dieses Spiel noch weiter. Per Dekret verbietet er "Leichenbegängnisse, Kirchhöfe, Totengrüfte und ähnliche traurige Auftritte" - was zur Folge hat, dass Bühnenklassiker wie Shakespeares "Romeo und Julia" oder "Hamlet" mit so genannten "Wiener Schlüssen" umgeschrieben werden müssen und ein Happy-End erhalten. Zu dieser Zeit ist das Burgtheater schon ein leuchtendes Beispiel zeitgenössischer Schauspielkunst: Joseph II. macht es 1776 zum "Teutschen Nationaltheater", die Schauspieler werden in den Rang von Hofbeamten erhoben. Drei Opern Mozarts erleben hier ihre Uraufführung.
1888 zieht das Burgtheater in den berühmten Neubau an der Ringstraße um und wird endgültig zum Nationalheiligtum. Im 20. Jahrhundert dann spaltet es mit Inszenierungen der Stücke von Thomas Bernhard und Elfriede Jelinek die Nation. Keiner wird dabei so angefeindet wie Regisseur Claus Peymann, der das Ensemble von 1986 bis 1999 leitet. Dabei hätte ihn ein Ausspruch Carl Zuckmayer warnen müssen. "Burgtheaterdirektor?", hatte dieser gesagt. "Lieber mit dem nackten Hintern in einen Ameisenhaufen!"
Stand: 14.03.06