Ministerpräsident von Schleswig-Holstein Uwe Barschel (CDU) weist bei einer Pressekonferenz in Kiel am 18.09.1987 mit einem "Ehrenwort" alle Beschuldigungen von sich

7. September 1987 - Bericht im "Spiegel" löst die Barschel-Affäre aus

Stand: 30.08.2022, 14:42 Uhr

Es ist einer der größten Polit-Skandale in der Geschichte der Bundesrepublik: Ein Referent des CDU-Ministerpräsidenten Barschel geht mit Bespitzelungen und anonymen Verdächtigungen gegen SPD-Herausforderer Engholm vor.

Anfang 1987. Landtagswahlkampf in Schleswig-Holstein. Ministerpräsident Uwe Barschel (CDU) wirkt verunsichert. Sein charismatischer Herausforderer Björn Engholm von der SPD kann ihm gefährlich werden. Beide liefern sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen.

Dem bieder wirkenden Aufsteiger Barschel droht gegen Engholm die erste schwere Niederlage seines Lebens. Doch der Amtsinhaber will sich die hart erarbeitete Macht nicht nehmen lassen. Reiner Pfeiffer, ein Mann fürs Grobe, soll ihm dabei als "Medienreferent" helfen.

Bericht im Spiegel löst die Barschel-Affäre aus (am 07.09.1987)

WDR ZeitZeichen 07.09.2022 14:39 Min. Verfügbar bis 07.09.2099 WDR 5


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Überwachung und Schmutzkampagnen

Medienreferent Reiner Pfeiffer posiert neben Zeitungsständer mit Barschel-Aufmachern.

Der ehemalige CDU-Medienreferent Reiner Pfeiffer

Pfeiffer: "Meine wesentliche Aufgabe bestand darin, in einer Art subversiven Tätigkeit sicherzustellen, dass der Spitzenkandidat der SPD, Engholm, noch vor dem Wahltermin von der politischen Bühne verschwindet." Er lässt Engholm durch Detektive observieren. Sie sollen eventuelle Affären mit Frauen oder Männern sowie andere Verfehlungen dokumentieren.

Als nächste Aktion schickt Pfeiffer dem Lübecker Finanzamt eine anonyme Steueranzeige gegen Engholm. Er behauptet, der Sozialdemokrat habe mehrere hunderttausend D-Mark an Steuern hinterzogen. Außerdem telefoniert er immer wieder anonym mit dem SPD-Politiker. Einmal gibt er sich als Arzt aus und teilt Engholm mit, dass er unter AIDS-Verdacht steht.

Schleswig-Holsteins damaliger Ministerpräsident Uwe Barschel (CDU, links) im Gespräch mit dem SPD-Herausforderer Björn Engholm

Schleswig-Holsteins damaliger Ministerpräsident Uwe Barschel (CDU, links) im Gespräch mit dem SPD-Herausforderer Björn Engholm

"Der Spiegel" bekommt Wind von den Vorgängen und berichtet im September 1987 über den Skandal. Die Wahl endet im Patt. Die CDU verliert ihre absolute Mehrheit, Engholms SPD wird stärkste Kraft. Wenige Tage nach der Wahl gibt Barschel eine Pressekonferenz. Er bestreitet alle Anschuldigungen, spricht von einem politischen Komplott. Denkwürdig seine letzten Worte: "Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, dass die gegen mich erhobenen Vorwürfe haltlos sind."

Am 11. Oktober 1987 wird Uwe Barschel im Genfer Nobelhotel Beau Rivage von einem Reporter tot in der Badewanne seines Zimmers gefunden. Die Genfer Staatsanwaltschaft kommt schnell zu einem Ergebnis: Suizid durch Schlafmittel. Doch schlampige Spurensicherung, technische Pannen und verschwundene Beweisstücke werfen bis heute Fragen auf.

Affäre noch nicht vorbei

Björn Engholm bei seinem Rücktritt im Mai 1993 (neben Johannes Rau, l)

Björn Engholm bei seinem Rücktritt im Mai 1993 (neben Johannes Rau, l)

Durch Barschels Tod ist der Skandal nicht beendet. Zwei Untersuchungsausschüsse des Kieler Landtages beschäftigen sich mit der Affäre. Sie bringen unter anderem eine Zahlung von 40.000 Mark in bar - angeblich in der Schublade angespartes privates Geld eines Sozialdemokraten - an Reiner Pfeiffer ans Licht.

Und auch Björn Engholm holt die Affäre im Frühjahr 1993 ein - mittlerweile ist er Parteivorsitzender und designierten Kanzlerkandidat der Sozialdemokraten. Bis er eine deutlich frühere Mitwisserschaft über Pfeiffers Machenschaften einräumen muss - wie Uwe Barschel wird auch Björn Engholm als Lügner überführt. Er muss zurücktreten. Seine politische Laufbahn ist vorbei.

Autor des Hörfunkbeitrags: Wolfram Stahl
Redaktion: Gesa Rünker

Programmtipps:

ZeitZeichen auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 7. September 2022 an den Beginn der Barschel-Affäre. Das ZeitZeichen gibt es auch als Podcast.

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