Arthur Schopenhauer hat in der Philosophiegeschichte eine Sonderstellung. Philosophen von Heraklit bis Hegel gehen davon aus, dass das Wesen der Welt durch die Vernunft begriffen werden kann. Schopenhauer hingegen bricht mit dieser Tradition. Für ihn ist das Wesen der Welt etwas Irrationales - ein blinder Drang, den er als Wille bezeichnet. Vernunft und Verstand versteht er hingegen als oberflächliche Ausprägung dieses ewigen Wollens.
Der Wille ist nach Schopenhauer das einzig unmittelbar Erfahrbare. Er treibe die Menschen voran, ohne dass sie Gewalt darüber hätten. Vernunft als Allheilmittel der traditionellen Philosophie versage angesichts des blinden Drangs. Dieser mache die Menschen zu unbändigen Egoisten. Dadurch werde die Welt ein Ort, an dem die Menschen zwar Geschwister sein wollten, aber Feinde seien.
Kaufmannslehre abgebrochen
Geboren wird Arthur Schopenhauer am 22. Februar 1788 in Danzig. Als er fünf Jahre alt ist, muss die begüterte Kaufmannsfamilie vor der preußischen Armee nach Hamburg fliehen. Mutter Johanna sehnt sich nach einem Leben als Schriftstellerin und kümmert sich nur pflichtschuldig um den kleinen Arthur. Das Verhältnis der beiden ist und beibt gespannt.
Vater Heinrich möchte verhindern, dass sein Sohn sich wie die Mutter ebenfalls den brotlosen Künsten verschreibt und schlägt ihm einen Tauschhandel vor. Der Jugendliche darf seine Eltern auf eine mehrjährige Europareise begleiten, wenn er danach eine Kaufmannslehre antritt. Arthur willigt ein. Doch als sich der Vater kurz nach der Rückkehr von einem Speicherboden in den Tod stürzt, entscheidet sich der Sohn, die Lehre abzubrechen und zu studieren.
"Zuchthausarbeit des Wollens"
Im Fach Philosophie promoviert er mit der Arbeit "Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde". In diesem Text entwickelt er die Idee des "besseren Bewusstseins", dass sich über die Sachzwänge des Lebens an den Künsten erheben kann. Ab 1814 arbeitet Schopenhauer diese Idee aus und schreibt über viele Jahre sein Hauptwerk: "Die Welt als Wille und Vorstellung".
Für Schopenhauer steht fest: "Das Leben ist eine missliche Sache." Der "Zuchthausarbeit des Wollens" könne man nicht entkommen. Das sei der Grund für die Zerrissenheit des Menschen: Je egoistischer sich der Einzelne auf seine Interessen versteife, umso feindseliger werde ihm dabei die Außenwelt.
Mitfühlen überwindet egoistischen Willensdrang
Aber Schopenhauer sieht eine Möglichkeit, sich vom Willensdrang zu entlasten: durch Mitleiden. In "Die Welt als Wille und Vorstellung" entwickelt er deshalb die Mitleidsethik. Sobald man das Eigene im Anderen erkennt, ist demnach moralisches Handeln geboten: "Verletze niemanden, vielmehr hilf allen, soweit du kannst."
Um eine Sensibilität für das Mitfühlen mit allem Lebendigen zu schaffen, setzt Schopenhauer auf die Kunst. Besonders im Genuss der Musik könne sich der Mensch vom Dienst am Willen losreißen und sein Eigeninteresse vergessen - zumindest für einige Momente.
Weltekel eines Misanthropen
Von seinen Zeitgenossen wird Schopenhauers Philosophie zunächst kaum wahrgenommen. In dieser Zeit dominiert der Fortschrittsglaube. Von Irrationalität der Welt und einen dumpfen Willensdrang will niemand etwas hören. 1820 wird Schopenhauer zwar an der Berliner Universität habilitiert, doch seine Philosophie-Vorlesungen werden selten besucht.
Dafür machen ihn seine "Aphorismen zur Lebensweisheit" 1851 bekannt - obwohl er darin seinem Welt- und Menschenekel freien Lauf lässt. Schopenhauer spottet gern über seine Mitmenschen und verhöhnt seine Philosophie-Kollegen. Der verschrobene Gelehrte lebt völlig zurückgezogen. In seiner Nähe duldet er nur seinen Pudel, den er "Mensch" nennt.
Seine akademische Karriere hintertreibt Schopenhauer beinah absichtlich - zum Beispiel, indem er seine Vorlesungen konsequent auf dieselbe Zeit wie die Veranstaltungen des berühmten Philosophen Hegel legt, bis fast keine Studenten sich mehr zu Schopenhauer verirren. Etwas Anerkennung winkt zwar, als die Königliche Akadamie ihm zu seinem 70. Geburtstag die Mitgliedschaft anbietet. Doch der Philosoph lehnt ab.
Gewaltige Spätwirkung des Werks
Am 21. September 1860 stirbt Arthur Schopenhauer in Frankfurt am Main an den Folgen einer Lungenentzündung. Sein Werk hat eine gewaltige Spätwirkung: Nietzsche hat wesentliche Motive seiner Philosophie von ihm. Aber auch Schriftsteller wie Leo Tolstoi und Wilhelm Raabe verehren ihn. Richard Wagner sieht in Schopenhauers Philosophie gar die einzigartige Möglichkeit, "welthellsichtig" zu werden.
Autor des Hörfunkbeitrags: Matthias Eckoldt
Redaktion: David Rother
Programmtipps:
ZeitZeichen auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 22. Februar 2023 an Arthur Schopenhauer. Das ZeitZeichen gibt es auch als Podcast.
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