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WDR 3 Kulturmedienschau mit Simone Schlosser
Szene aus „Dogville“ von Gordon Kampe

12.03.2023 – Gordon Kampe, „Dogville“ in Essen

Stand: 12.03.2023, 09:30 Uhr

„Ich musste den Film vergessen beim Komponieren“, sagt Gordon Kampe. Er wollte aus Lars von Triers „Dogville“ etwas völlig Neues machen. Literaturopern gibt es ja zuhauf, aber die „Veroperung“ eines Kinofilms hat wahrscheinlich noch nie stattgefunden. In dem Film geht es darum, wie Grace vor Gangstern flüchtend in Dogville Unterschlupf sucht, der ihr gegen kleine Dienstleistungen gewährt wird. Die Stimmung kippt allmählich, die Bewohner werden fordernder und erniedrigender, bis Grace angekettet wird und Vergewaltigungen erleidet. Der Gangsterboss entpuppt sich als ihr Vater, und am Ende wird die Stadt ausgelöscht.

Bei Lars von Trier vollzieht sich dieser Plot im Verlaufe von drei Stunden, aber nicht in Form eines actionreichen Hollywoodkinos, sondern in der Ästhetik einer Schauspielprobe, bei der die Straßen von Dogville z.B. nur durch Kreidestriche auf dem Bühnenboden angedeutet sind. Außerdem wird das Geschehen wird über lange Passagen von einem Erzähler vermittelt. In diesen Stilmitteln ist der Film an das Brecht‘sche Theater angelehnt. Seine Wirkung erzielt er aber durch die Art der Kameraführung und durch den langsamen Rhythmus, in dem sich das Böse immer mehr entfaltet.

Bei Gordon Kampe ist die Geschichte auf 100 Minuten eingedampft worden, wobei das Libretto der Oper vollständig auf den Filmdialogen basiert. Einen Erzähler gibt es nicht mehr. So läuft die Oper wie eine Kriminalgeschichte in einer raschen Folge von Szenen ab, die in hintereinander gereihten, ansteigenden Räumen spielen, die wie in einem Guckkasten am Zuschauer vorbeiziehen (Bühne: Jo Schramm). Da gibt es kein wirkliches Innehalten mehr zwischen Grace und Tom, der sie in die Gemeinschaft eingeführt hat, nur ein kurzes rezitativisches Stammeln, als er versucht ein Liebesgeständnis zu machen, worauf sie mit einer kleinen Kantilene antwortet.

Gordon Kampe (Jahrgang 1976) ist längst ein renommierter Komponist mit wichtigen Uraufführungen von Bayreuth bis Salzburg und einem Katalog von hunderten von Werken. Er arbeitet in „Dogville“ souverän mit einem großen, durch Schlagwerk angereicherten Orchester, um das Geschehen akustisch zu formen. Da lassen die Streicher ein zirpendes Glissando hören bei dem unbeholfenen Liebesgeständnis. Oder da röhrt das Blech wagnerartig, wenn Grace von Tom scheinbar an die Gangster verraten wird.

Kampe erklärt, dass er alle 14 Darsteller um Grace herum mit musikalischen Chiffren charakterisiert habe. Grace ist dabei als einzige ist die ganze Zeit auf der Bühne. Lavinia Dames spielt und singt sie mit großer Intensität und bringt dabei jene Spur von Abgründigkeit auf die Essener Opernbühne, die seinerzeit Nicole Kidman dem Film mitgab. Aber abgesehen davon und trotz aller kompositorischer Virtuosität, die Tomáš Netopil mit den Essener Philharmonikern in plastischen Klang umzusetzen weiß, stellt sich in der Oper keine Sogwirkung ein und letztlich auch keine sich zum Showdown entwickelnde Spannungskurve: ein Bild folgt auf das andere. Vielleicht liegt das auch an der etwas distanzierenden Regie von David Hermann, der die Figuren wie Marionetten – und damit doch wieder eine Stück Brecht‘sches Theater hereinholend – erscheinen lässt.

Normalerweise investieren Opernvertonungen gegenüber der Vorlage, ob literarisch oder wie hier filmisch, in Emotionalität und Psychologisierung und reduzieren dafür die Handlungsmenge. Bei der Oper „Dogville“ ist es fast umgekehrt. Vom Film blieb ein musikalisch gekonnt illustriertes Handlungsgerüst.

Uraufführung: 11.03.2023, noch bis zum 30.04.2023
In WDR 3 Oper am 04.06.2023 ab 20:04 Uhr

Besetzung:
Grace: Lavinia Dames
Tom Edison Jr.:Tobias Greenhalgh
Thomas Edison Sr.: Bart Driessen
Chuck: Heiko Trinsinger
Vera, Chucks Frau: Marie-Helen Joël
Ma Ginger: Almuth Herbst
Bill Henson: Etienne Walch
Liz Henson: Maartje Rammeloo‘
Martha: Alice Lackner
Jack McKay: Andrei Nicoara
Olivia: Christina Clark
Ben Rainer Maria Röhr
Big Man: Karel Martin Ludvik
Policeman: Albrecht Kludszuweit
Jason: Lenn Peris Beier

Essener Philharmoniker

Musikalische Leitung: Tomáš Netopil
Inszenierung: David Hermann
Bühne und Licht: Jo Schramm
Kostüme: Tabea Braun
Dramaturgie: Christian Schröder, Patricia Knebel