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Glotz und Gloria - Der COSMO Serien-Podcast

Serien-Podcast: Unsere besten Serien 2020

Stand: 25.12.2020, 00:00 Uhr

Jörn und Emily haben jeweils drei ihrer Serienhighlights 2020 mitgebracht. Jörn hat dabei festgestellt, dass er offenbar authentische, rauere Dramen aus dem Arbeitermilieu favorisiert, auch wenn ein High-School-Bezug natürlich nicht fehlen darf. Emilys Auswahl besteht aus einer wichtigen, vielleicht triggernden Serie, intellektuell und visuell überwältigendem Sci-fi und einer Geschichts-Satire.

Von Emily Thomey und Jörn Behr

Unsere besten Serien 2020

COSMO Glotz & Gloria 25.12.2020 40:50 Min. Verfügbar bis 24.12.2025 COSMO


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Jörns Favoriten

The Virtues - Joseph (Stephen Graham) auf der Fähre nach Irland im Morgengrauen.

"The Virtues" (ARTE-Mediathek)

Die englische Miniserie basiert auf den Erfahrungen eines Machers, nämlich denen von Regisseur Shane Meadows ("This is England"). Maler Joe aus Liverpool stürzt emotional ab, als seine Ex und ihr neuer Partner mit Joes Sohn nach Australien ziehen. Verzweifelt um Halt ringend, macht er seine Schwester in Irland ausfindig. Beide haben sich seit über 30 Jahren nicht mehr gesehen und während sie ihn bei sich und ihrer Familie aufnimmt, kommen seine traumatischen Erinnerungen in einem Kinderheim wieder hoch.

Rau und improvisiert

Die vierteilige Serie ist sehr rau, ungemütlich und intensiv. Die Dialoge fühlen sich sehr authentisch an, weil die Schauspieler große Teile improvisiert haben und Regisseur Meadows sich die besten Parts herausgesucht hat. Dabei hat er sogar das Ende der Serie nochmal neu gedreht, weil sich nach dem eigentlichen Drehschluss noch eine vielversprechende Alternative aufgetan hatte.

Ein Meisterwerk!

Emily und ich sind beide gleichermaßen begeistert: Von Hauptdarsteller Stephen Graham ("Snatch", "Boardwalk Empire"), der so emotional spielt, dass er auch mal Rotz und Wasser heult, und vom Look der Rückblenden in Joes Kindheit im Videokamerastil der 80er oder auch von der irren Spannung in den letzten zwanzig Minuten der Serie. Die Serie hat mich unglaublich gepackt und ist für mich eine der Entdeckungen des Jahres.

"I know this much is true" (Sky)

Die Miniserie erzählt die Lebensgeschichte der Zwillinge Dominick und Thomas. Letzterer war schon als Kind ein Außenseiter, gilt später als psychisch krank und wird nach einem krassen Vorfall eingewiesen. Dominick kümmert sich sein ganzes Leben aufopferungsvoll um seinen Bruder und muss nebenbei immer wieder zusätzliche Tragödien wie einen prügelnden Stiefvater, den Tod der geliebten Mutter, einen weiteren tragischen Todesfall, das Scheitern seiner Ehe oder einen schweren Unfall wegstecken.

Tolle Performances

Dieses ganze Leid hat mir beim Gucken schwer zugesetzt. In jeder Folge passiert etwas Schreckliches, Dominick kämpft gegen die Ungerechtigkeiten des Lebens und für das Recht seines Bruders und verliert dennoch fast jedes Mal. Mark Ruffalo ("Hulk") spielt beide Brüder und liefert eine intensive, mitreißende, Emmy-gekrönte Performance ab, aber auch die Nebendarsteller wie Archie Panjabi ("Run", The Good Wife"), Ex-US-Talkmasterin Rosie O´Donnell oder Philip Ettinger, der Dominick und Thomas als Teenie spielt, fanden Emily und ich sehr, sehr gut.

Ein Meisterwerk

Wir beide konnten immer nur eine Folge am Stück gucken, weil die Handlung so intensiv und traurig ist. Dennoch finde ich die Serie extrem fesselnd, auch weil sie wichtige Fragen des Lebens stellt. Wieviel Leid können wir ertragen? Warum muss eine Familie so viel mitmachen? Ist eine psychische Krankheit erblich? Heilbar? "I know this much is true" ist anstrengend, fordernd - und wir sind uns einig: Ein Meisterwerk.

Screenshot: Normal People. Daisy Edgar-Jones und Paul Mescal sitzen im Gras

"Normal People" (Starzplay)

Marianne und Connell kennen sich von der Schule. Sie ist die unbeliebte Außenseiterin, versucht aber auch gar nicht, beliebt zu sein, ist schlagfertig, smart und sehr hübsch, auch wenn ihre Mitschüler:innen das anders sehen. Connell dagegen gehört zur In-Crowd, ist erfolgreicher Sportler aber eher der schüchterne Typ. Bis er eines Tages seine Mutter, die als Putzfrau in der Villa von Mariannes Eltern arbeitet, abholen will und dort auf Marianne trifft. Die beiden starten eine heimliche Affäre, weil er es komisch fände, wenn seine Freundin von Marianne wüßten. Konflikte zwischen den beiden sind also vorprogrammiert und so gibt es über die nächsten zwölf Folgen verschiedene Phasen einer spannungsreichen Langzeitbeobachtung der Liebesbeziehung und Freundschaft.

Guter Sex

Emily ist begeistert von der Art, wie die intimen Momente zwischen den beiden in Szene gesetzt werden und mit welcher Sinnlichkeit Sex dargestellt wird. Marianne und Connell gehen sehr achtsam miteinander um, zeigen on screen, wie Konsens und gute Kommunikation beim Sex funktionieren können. Hinter der Kamera hatten die beiden Schauspieler*innen Daisey Edgar-Jones und Paul Mescal Unterstützung von der renommierten Intimitätskoordinatorin Ita O'Brien (u.a. "Sex Education"). Trotzdem hat die Serie auch für Kritik gesorgt. In dem katholischen geprägten Irland waren die Sexszenen einigen zu explizit. Ich hätte auch weniger Sex vertragen können, auch wenn ich verstehen kann, warum die Serie dafür gefeiert wird.

Emilys Favoriten:

Screenshot: Michaela Coel Arabella in "I may destroy you"

"I may destroy you" (Sky)

Arabella ist eine angesagte Autorin, die nach einem Erfolgsroman an einem Nachfolger arbeitet. In der Nacht vor einer Deadline geht sie nochmal feiern und wacht am nächsten Tag mit kaputtem Handydisplay und einer Wunde auf. Erst nach und nach wird ihr klar, dass sie ein Opfer sexueller Gewalt geworden ist.

Konsens oder nicht?

Die gefeierte Serie erzählt, wie sie dieses Trauma verarbeitet und wie ihre Freunde ebenfalls schon mal zu Opfern geworden sind, als ein angeblich spontaner Dreier gar kein Zufall und eine sexuelle Handlung dann eben doch ein ungewollter Übergriff war. Die Handlung scheint teilweise nicht zusammenzuhängen, um dann doch wieder an einen bestimmten Punkt zu kommen: Wann ist was erlaubt, strafbar, traumatisch? Wie gehe ich damit um?

Fokussierung oder Streuung?

Jörn hätte es besser gefallen, wenn die Serie sich mehr auf Arabellas Inneres fokussiert hätte, anstatt auch die anderen Geschichten zu erzählen, ich aber finde gerade diese umfassende Herangehensweise an dieses wichtige und schwierige Thema herausragend. Die Partyszenen und der Soundtrack sind toll, Hauptdarstellerin und Macherin Michaela Coel ist charismatisch und die Serie basiert auf einer eigenen traumatischen Erfahrung, aus der sie aber nur noch stärker hervorgegangen ist.

Screenshot: "Devs" - Mitarbeiterin der Devs Abteilungs vor dem Rechner sitzend.

 

"DEVS" (Fox Channel/Magenta TV)

Was für eine umwerfende Kulisse! Der unheimliche Märchenwald in der Science-Fiction Serie "DEVS" wird durch Lichtreifen an Bäume erhellt, die in manchen Einstellungen wie Heiligenscheine über dem CEO von Amaya schweben. Der heißt auch noch Forest (Nick Offerman) und schlufft gewohnt buddy-mäßig mit Holzfällerhemd und Sneakers aus Amayas Beton-Glas-Bauten, die wie Skulpturen in jenem Wald stehen. Hier - natürlich im Silicon Valley - arbeiten junge Tech-Talente. Der Star der Stunde, Sergei, darf in den Hochsicherheitsbau DEVS (= "Developments"), die Innovationsabteilung. Auch die steht als Betonklotz monumental auf einer Lichtung mit Goldsteelen und Wasserdach. Drinnen schwebt die Abteilung in einem Vakuum und kann nur durch einen vertikal schwebenden Aufzug betreten werden. Noch Fragen? Jede Menge! Wie, bitte schön, kann ein Quantencomputer die Zukunft exakt vorhersagen oder die Vergangenheit wie ein Kinofilm in HD und Dolby Surround abspielen? Verändert das dann die Gegenwart?

Die Serie als Kunstwerk

Alles in DEVS ist künstlerisch angehaucht. Sogar der Sound, das Licht, der Schnitt, überlagerte Bilder -  es funkelt, pulsiert und leuchtet. Nur der Thriller um Sergeis verschwinden ist düster, die Abgründe der Figuren erschreckend und abstoßend und gleichzeitig eine einfache Einstiegstür, um das verrückte Gedankenexperiment um den menschlichen Größenwahn zugänglicher zu machen. Ich fand es hochspannend und fesselnd.

"The Great" (Starzplay)

Die junge Katharina reist im 18. Jahrhundert nach Russland, um dort ihre arrangierte Ehe mit dem jungen Peter einzugehen. Während sie von der romantischen Liebe träumt, entpuppt er sich als alberner, unsentimentaler Trottel, der unwissend, aber umso skrupelloser über das riesige Land herrscht. Als die gebildete, interessierte Katharina merkt, dass ihr Leben ganz anders ablaufen wird als gedacht, nimmt sie ihr Schicksal selbst in die Hand und plant einen Umsturz.

Geschichte und Comedy

Wenn man die Serie ohne Ton guckt, wähnt man sich in einem Historienschinken mit üppigen Gewändern und riesigen Anwesen. Mit Ton sind die die Dialoge von der ersten Minute an sehr witzig, roh und ungewöhnlich, manchmal auch nah am Klamauk. Dann gibt es aber auch immer wieder sehr dunkle Momente wie brutale Morde oder Folterszenen, die der Serie deutlich mehr Tiefe geben. In einer Szene hatten wir beide sogar kurz Mitleid mit Peter – und das will angesichts seines Verhaltens etwas heißen. Die Beziehung der beiden Hauptfiguren wandelt sich glaubwürdig, und das liegt an den großartigen Leistungen von Elle Fanning ("Maleficent") und Nicholas Hoult ("Skins", "X-Men").

Kontakt zu Jörn und Emily:

Facebook.com/cosmo_ard
E-Mail: glotzundgloria@wdr.de
Whatsapp: 0172 5678 566