Eine ehemalige Mitarbeiterin des Kölner Kardinals Woelki hat den Vorwurf erhoben, dass Woelki schon früher über die Missbrauchsvorwürfe gegen den einstigen Sternsinger-Chef Winfried Pilz informiert worden sei, als er öffentlich angab. Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft. Denn das könnte bedeuten, dass Woelki in zwei eidesstattlichen Versicherungen gelogen hat.
Was hat die Whistleblowerin bewogen, dem "Kölner Stadt-Anzeiger" diese Details zu verraten? Ein Interview mit Journalist Joachim Frank, der die Frau für die Zeitung gesprochen hat.
WDR: Was ist das Besondere an den Schilderungen von Woelkis ehemaliger Mitarbeiterin, die sich an Sie gewendet hat?
Joachim Frank: Das Interessante an diesem Fall ist, dass jetzt die staatlichen Ermittlungsbehörden ins Spiel kommen. Denn es geht um eine Falschaussage an Eides statt. Kardinal Woelki hat eben nicht nur behauptet, er habe von dem Fall Pilz nichts gewusst, sondern er hat darüber eine eidesstattliche Versicherung abgegeben. Und über diese sagt jetzt eine Mitarbeiterin, die da sehr eng dran war: Das ist nicht wahr.
Joachim Frank, Kölner Stadt-Anzeiger
Und sie behauptet das nicht nur einfach, sondern sie kann eine Liste vorlegen, eine Täterliste, mit ganzen 14 Namen, die sie eigens für den Kardinal 2015 angefertigt hat, und die ihm auch vorgelegt worden ist.
WDR: Warum hat sich die Mitarbeiterin erst jetzt geäußert?
Frank: Sie hat gesagt: Sie hat es nicht mehr ausgehalten, wie der Kardinal sich in der Öffentlichkeit einlässt und behauptet, er habe davon nichts gewusst und sei damit auch nicht befasst worden.
Die Mitarbeiterin sagte mir: Sie war da so nah dran, musste sich mit diesen ganzen Fällen beschäftigen und hat das nach bestem Wissen und Gewissen getan, damit aufgeklärt werden kann. Sie habe Woelki alle Informationen zur Verfügung gestellt, die sie nur irgendwie zusammenbekam. Aber dann hörte sie in der Öffentlichkeit nur, es habe ihn nicht interessiert und er habe auch nichts gewusst.
Sie sagte mir: Mag sein, dass er sich die Liste nicht angesehen hat. Aber was ist dann der ganze Aufklärungswille noch wert? Und das finde ich sehr glaubwürdig.
Das Gespräch, was ich mit der Frau hatte, war wirklich auch sehr bewegend, weil man merkte, wie sie mit sich gerungen hat und auch von ihren Loyalitäten gesprochen hat. Sie sagte: Natürlich bin ich meinem Dienstherrn zur Loyalität verpflichtet. Aber der hat doch auch eine Loyalität den Mitarbeitern und seinem Amt gegenüber.
WDR: Sie sind schon lange mit dem Thema befasst. War dieses Interview mit der Mitarbeiterin trotzdem überraschend für Sie?
Frank: Das war sehr bewegend. Zum einen, weil man die Emotionen der Frau spürte. Und zum anderen, weil man noch mal eine Ahnung bekommt, was in diesem Apparat los sein muss. Die ist ja nicht die einzige, die Dinge wusste. Das war ein System und ist ein System des Schweigens, Vertuschens und Wegsehens. Und von dem wussten viele. Und jetzt bricht eine mal ihr Schweigen.
Und sie sagte auch sehenden Auges: Wenn die jetzt arbeitsrechtlich gegen sie vorgehen, weil sie eine Verschwiegenheitspflicht verletzt hat, dann ist das eben so. Aber da sei sie jetzt ihrem Gewissen verpflichtet. Und sie will nicht, dass Leute mal zu ihr kommen und sagen: Mensch, du hast doch so viel gewusst - warum hast du nichts gesagt? Wenn man das von jemandem zu hören bekommt, der echt was zu verlieren hat, dann ist das ein Gänsehaut-Moment.
WDR: Die Staatsanwaltschaft ermittelt nun wegen Falschaussage. Das bedeutet: Es gibt dazu bislang weder eine Anklage noch ein Urteil. Aber ist jetzt nicht trotzdem mal der Zeitpunkt für einen Neufanfang im Erzbistum Köln gekommen?
Frank: Wenn man das mit anderen Organisationen wie Unternehmen, Parteien, Regierungen und Verbänden vergleicht, dann müsste jetzt längst was passiert sein. Jemand, der in so führender Position tätig ist und ja nicht nur unter dem Verdacht einer falschen Aussage steht, sondern massiven Vertrauensverlust in seinem ganzen Bistum, also in seiner ganzen Organisation, zu verantworten hat, müsste jetzt endlich mal Konsequenzen ziehen.
Und wenn man mal Parallelen mit der Politik zieht, dann ist spätestens, wenn die Staatsanwaltschaft strafrechtliche Ermittlungen eröffnet, der Zeitpunkt gekommen, an dem man sagt: Ich lasse mein Amt ruhen oder ich trete zurück.
WDR: Glauben Sie daran, dass das im Falle des Kardinal Woelki passieren wird?
Frank: Wenn man sich anhört, wie sich Kardinal Woelki bisher zu all diesen Dingen eingelassen hat, dann hat er einen derartigen Betonklotz unter seinen Bischofsstuhl platziert, dass er den nicht freiwillig räumen wird. Er steht auf dem Standpunkt: Ja, gut, es gibt Kritik, aber es gibt auch Leute, die das gut finden, was ich mache - die einen sagen so, die anderen sagen so. Nach meinem Eindruck sieht er überhaupt nicht diesen Abgrund, in den er das Erzbistum Köln manövriert hat.
Die Fragen stellte Julia Barth für WDR5. Für die Verschriftlichung wurde das Interview leicht angepasst.