In NRW sind deutlich mehr Firmen in Schieflage geraten als zuvor: Sie können ihren Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen und sind deshalb insolvent. Laut des Statistischen Landesamtes meldeten die NRW-Amtsgerichte im ersten Halbjahr 2024 mehr als 2.700 Unternehmensinsolvenzen und damit 26 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum.
Als unmittelbare Ursache für den Anstieg nennt das Landesamt "eine erhöhte Zahl von Insolvenzanträgen wirtschaftlich bedeutender Unternehmen und Unternehmensketten".
Warum steigt die Anzahl insolventer Firmen?
Als einen wichtigen Grund dafür nennt RWI-Konjunkturchef Torsten Schmidt die wirtschaftliche Schwächephase, die seit zwei Jahren andauere. "Die Verbraucher halten sich nach den starken Preisanstiegen der vergangenen Jahre immer noch bei ihren Konsumausgaben zurück", sagte Professor Schmidt dem WDR am Dienstag. "Das spüren vor allem die konsumnahen Dienstleistungsbereiche."
RWI-Konjunkturchef Torsten Schmidt
Volkswirtschaftler Klaus-Heiner Röhl vom Institut der deutschen Wirtschaft nannte dem WDR neben der zweijährigen Stagnationsphase noch weitere Gründe: Da es während der Corona-Pandemie keine Insolvenzverfahren gegeben habe, sei es anschließend zu einem Nachholeffekt gekommen. Auch die Energiepreisverteuerung nach dem Beginn des russischen Angriffskrieges wirke noch nach. Zudem spielt die Inflation ebenfalls eine Rolle.
Welche Branchen sind besonders betroffen?
Besonders viele Insolvenzen gab es laut RWI-Konjunkturchef Schmidt im Baugewerbe sowie im Bereich Handel sowie bei der Instandhaltung und Reparatur von Kraftfahrzeugen. Auch im Gastgewerbe sei die Zahl der Insolvenzen recht hoch gewesen. "Dies sind genau die Bereiche, die die Zurückhaltung der Verbraucher am stärksten spüren."
IW-Ökonom Klaus-Heiner Röhl
IW-Ökonom Röhl sagte dem WDR am Dienstag, Insolvenzen gebe es normalerweise vorwiegend bei Dienstleistungen und beim Handel. Nun seien aber auch verstärkt Industrieunternehmen und ihre Zulieferer davon betroffen, die oft mehr Arbeitsplätze aufweisen.
Nach Angaben des Statistischen Landesamtes NRW war im letzten Halbjahr vor allem die Wirtschaftssparte "Freiberufliche, wissenschaftliche und technische Dienstleistungen" von Insolvenzen in Mitleidenschaft gezogen, zu denen Architektur- und Ingenieurbüros gerechnet werden.
Was bedeutet das für die Arbeitsplätze?
Knapp 40.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mussten im ersten Halbjahr nach Angaben Statistischen Landesamtes im Zuge der Insolvenzverfahren um ihre Jobs zittern. Noch ist nicht klar, ob alle bei Amtsgerichten angemeldeten Insolvenz auch in ein Verfahren münden.
"Die steigende Zahl der Insolvenzen trägt zu der Verschlechterung der Arbeitsmarktsituation natürlich bei", sagt RWI-Konjunkturchef Schmidt dem WDR. "Viele Unternehmen halten sich bei Neueinstellungen zurück." Aus Sicht von IW-Ökonom Röhl sind Arbeitplätze in NRW im Durchschnitt jedoch "immer noch sicher": "Wir haben keine tiefe Krise, sondern eine Stagnationsphase."
Wie geht die Entwicklung weiter?
"Es zeichnet sich noch kein Silberstreifen am Horizont ab", so Röhl. "Wir sind erst am Anfang einer schwierigen Phase für die Industrie." Es sei zu befürchten, dass die negative Entwicklung noch anhalte. Auf die Frage nach deren Dauer gebe es keine verlässliche Antwort. "Das wäre nur Spekulation."
Auch RWI-Konjunkturchef Schmidt ist zurückhaltend: "Wir erwarten eine nur allmähliche konjunkturelle Verbesserung, so dass die Zahl der Insolvenzen noch einige Zeit hoch bleiben dürfte."
Was unternimmt die NRW-Landesregierung?
Das Wirtschaftsministerium arbeite kontinuierlich an guten Rahmen- und Standortbedingungen für die Wirtschaft in NRW, sagte ein Sprecher am Dienstag dem WDR. "Hierunter fallen zahlreiche Förderprogramme, Initiativen und Gesprächskreise."
Das Ministerium stehe beispielsweise fortlaufend mit Unternehmen im Kontakt, die sich in "herausfordernden wirtschaftlichen Situationen" befinden, so der Sprecher. Die betroffenen Firmen erhielten dabei durch das Wirtschaftsministerium individuelle Unterstützungsmöglichkeiten, die auf die jeweilige Betriebssituation zugeschnitten seien.
Unsere Quellen:
- Nachrichtenagentur DPA
- Mitteilung des Landesbetriebs IT.NRW
- Anfrage an das NRW-Wirtschaftsministerium
- Anfrage an das Institut der deutschen Wirtschaft (IW)
- Anfrage an das RWI - Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung (RWI)