Totschlag im Kurpark Bad Oeynhausen: Haben die Behörden versagt?
Stand: 16.12.2024, 06:35 Uhr
Philipos Tsanis ist nur 20 Jahre alt geworden. Im Juni 2024 wurde er im Kurpark von Bad Oeynhausen totgeprügelt. Der mutmaßliche Täter: ein 18-jähriger Syrer, der als Flüchtling anerkannt war. WDR-Recherchen belegen nun, dass Behörden Informationen zur kriminellen Vorgeschichte des Verdächtigen im Vorfeld des Totschlags untereinander nicht weitergaben.
Mwafak Al S. ist 18 Jahre alt. Geboren wurde er in Syrien. Im Jahr 2016 kam er nach Angaben der Staatsanwaltschaft Bielefeld im Rahmen des so genannten Kindesnachzugs nach Deutschland. Seine Eltern waren bereits hier.
Nach WDR-Informationen waren sie als Geflüchtete anerkannt. Die Familie lebte zunächst in Pforzheim (Baden-Württemberg), später in Bad Oeynhausen im Kreis Minden-Lübbecke (NRW).
Kriminelle Vergangenheit
Raub, Diebstahl, Drogen: Seit 2020 ist Mwafak Al S. immer wieder straffällig geworden. Nach Informationen des WDR stuften ihn die Polizei, die Staatsanwaltschaft und das Jugendamt in Pforzheim (Baden-Württemberg) als "Schwellentäter" ein. Das ist die Vorstufe zum Intensivstraftäter.
Vor gut einem Jahr zog Mwafak Al S. mit seinen Eltern und Geschwistern nach Bad Oeynhausen in NRW. Auch dort beging er Straftaten. Das bestätigt die Staatsanwaltschaft Bielefeld. Im Juni 2024 soll er schließlich einen Menschen, nämlich Philipos Tsanis, getötet haben.
Tragen Behörden eine Mitschuld?
Joanna Steinmann-Glogowski, die Mutter des getöteten Philipos, wirft dem Staat Versagen vor. "Er (Der Angeklagte, Anm. d. Redaktion) habe seine Taten intensivieren können", sagte die 48-Jährige in einem Exklusivinterview mit dem WDR bereits im Oktober 2024. Niemand habe ihn rechtzeitig gestoppt.
Ali Doğan, Landrat für den Kreis Minden-Lübbecke
Tatsächlich scheinen die Behörden Mwafak Al S. aus den Augen verloren zu haben. Das ergeben nun WDR-Recherchen. Als der heute 18-Jährige im Oktober 2023 nach Bad Oeynhausen kam, erhielten dort weder die Polizei noch das Ausländeramt Erkenntnisse über seine Vergangenheit.
"Wir hatten keine Informationen", sagt der Landrat des Kreises Minden-Lübbecke Ali Doğan (SPD) dem WDR. Doğan ist zugleich Chef der Kreisverwaltung und der Kreispolizei. Bis zum 23. Juni 2024, dem Tattag, habe die Stadt Pforzheim ihre Ausländerakte noch nicht übersandt, so Doğan. Und auch von der Polizei in Baden-Württemberg seien im Kreis Minden-Lübbecke keine Hinweise angekommen.
Strukturelle Fehler bei der länderübgreifenden Kommunikation?
Das LKA Baden-Württemberg sieht bei sich kein Versäumnis. Auf WDR-Anfrage heißt es wörtlich: "Bei Wegzug von Personen, die bei uns als besonders auffällige junge Straftäterinnen und Straftäter eingestuft werden, wird über das Landeskriminalamt Baden-Württemberg die korrespondierende Stelle in dem Bundesland informiert, in dem sich der neue Wohnsitz befindet." Das ist in diesem Fall das LKA Nordrhein-Westfalen.
Das LKA bestätigt dem WDR, dass es einen grundsätzlichen Datenaustausch mit dem LKA Baden-Württemberg gebe. Aber warum fiel Mwafak Al S. als "Schwellentäter" offenbar trotzdem durchs Raster?
Eine mögliche Erklärung: Das Wort "Schwellentäter" wird bei der Polizei in NRW nicht verbindlich benutzt. Das LKA NRW schreibt: "Die Begrifflichkeit "Schwellentäter" findet sich in Erlassen und Verfügungen im Land Nordrhein-Westfalen im Zusammenhang mit der Bekämpfung der Kriminalität von Mehrfach- und Intensivtätern nicht." Der Begriff werde nur in vereinzelten örtlichen Konzepten verwendet. Allerdings nicht im Kreis Minden-Lübbecke.
Prozess wegen Totschlags
Das Landgericht Bielefeld beginnt am 17. Dezember mit der juristischen Aufarbeitung des Falls. Allerdings geht es in dem Prozess nicht um die Verantwortung und die Rolle der Behörden, sondern um die individuelle Schuld der Angeklagten.
Drei junge Männer angeklagt
Drei junge Männer müssen sich verantworten: Mwafak Al S., für den Totschlag an Philipos Tsanis und zwei 19-jährige Deutsche, die ihn in der Tatnacht begleitet haben sollen. Ihnen wird unter anderem gemeinschaftliche Körperverletzung vorgeworfen.
Das Gericht hat bis Mai 2025 zunächst 19 Verhandlungstage angesetzt. Vielleicht gelingt es in dieser Zeit auch das Tatmotiv herauszufinden. Denn das ist bis heute völlig unklar.
Über das Thema berichten wir auch am 16. und 17.12.24 in den Nachrichten auf WDR2 und im WDR-Fernsehen in der Lokalzeit OWL.
Unsere Quellen:
- LKA Baden-Württemberg
- LKA Nordrhein-Westfalen
- Landrat Kreis Minden-Lübbecke
- Staatsanwaltschaft Bielefeld
- Landgericht Bielefeld
- WDR-Reporter vor Ort