Weltkindertag: Kinderarmut auf höchstem Stand seit Jahren

Stand: 20.09.2022, 10:03 Uhr

Schlechte Nachrichten zum Weltkindertag: Die Kinderarmut ist in Deutschland auf dem höchsten Stand seit Jahren. Das sagen Wohlfahrtsverbände zur Lage in NRW.

Kino, Urlaub, coole Klamotten - nicht für alle Kinder ist das selbstverständlich, weil ihre Eltern wenig Geld haben. Kinder gelten als armutsgefährdet, wenn sie in Haushalten leben, die weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Gesamtbevölkerung zur Verfügung haben. Armut hat in Deutschland weniger mit Hunger zu tun, dafür umso mehr mit Dingen wie gesellschaftlicher Teilhabe, gesunder Ernährung und Bildungschancen.

Und diese Armut nimmt zu: 2021 lag die Gefahr, dass Kinder arm werden, bei 20,8 Prozent. Das geht aus einer Antwort des Bundesarbeitsministeriums auf eine Anfrage der Linksfraktion hervor. Das sei der höchste Wert, der in Auswertungen des sogenannten Mikrozensus seit 2015 gemessen wurde.

Für Nordrhein-Westfalen liegen bislang lediglich Angaben aus dem Sozialbericht 2020 vor. Der wiederum enthält bezüglich des Armutsrisikos bei Minderjährigen nur Zahlen von 2018. Demnach waren in NRW damals 22,6 Prozent von Armut bedroht - also ungefähr jedes fünfte Kind.

Arm an Teilhabe, gesunder Ernährung und Bildungschancen

Entsprechend beunruhigt sind Wohlfahrtsverbände mit Blick auf solche Zahlen. "Die Zahlen sind alarmierend und machen deutlich: Armut hat junge Gesichter. Kinder - und Jugendarmut ist gleichbedeutend mit der Armut von Familien. Es besteht die Gefahr, dass wir uns in unserem reichen Land daran gewöhnen, dass zunehmend mehr junge Menschen in armen Familien aufwachsen", sagt Andreas Brockmann, Sprecher des DRK-Landesverbandes Nordrhein.

Mit schlimmen Zuständen dürfen wir uns nicht abfinden. Niemand darf wegsehen, wenn wir Armut begegnen. Keine einzelne Person, keine Organisation, keine Regierung. Andreas Brockmann, DRK Nordrhein

Zunehmende Armut in allen Arbeitsbereichen des DRK

Nicole Vergin, Sprecherin des Kinderschutzbundes NRW, ist von den Zahlen genau wie Brockmann nicht überrascht. In den sozialen Einrichtungen kennt man das Problem seit Jahren. "Deswegen warten wir sehnsüchtig auf die Kindergrundsicherung, die die Ampelkoalition zugesagt hat", so Vergin. "Kinderarmut ist ein Riesenproblem, das sich in diesem Winter mit den hohen Energiepreisen und der Inflation noch dramatischer entwickeln wird."

Eine Erzieherin geht im St. Michaels Kindergarten in Leinfelden-Echterdingen mit zwei Kindern über den Flur der Einrichtung

Eine Erzieherin mit zwei Kindern

Die Kindergrundsicherung kommt aber wohl erst im vierten Quartal 2023 als Gesetz auf den Tisch, wie Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) in der vergangenen Woche angekündigt hat. 2025 werde demnach das erste Geld fließen.

Mit den sozialen Folgen dieses hohen Armutsrisikos sind Kinderschutzbund wie DRK, das in NRW beipielsweise 450 Kindertagesstätten betreibt, aber schon jetzt täglich konfrontiert: "Wir sehen in all unseren Arbeitsbereichen eine zunehmende Armut bei Kindern und Jugendlichen sowie ihren Familien", so Brockmann. Kinderarmut äußere sich in vielen Facetten. So müssten Kinder auf vieles verzichten, was für andere Gleichaltrige selbstverständlich sei.

Kinder kommen ohne Wechselkleidung in die Kita

Andreas Brockmann - Leiter der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des DRK-Landesverband Nordrhein

Andreas Brockmann

"Nicht jedes Kind erhält Musikunterricht, verbringt den Urlaub am Meer oder erzählt von tollen Ausflügen", sagt Brockmann. Oft brächten von Armut betroffene Kinder keine Gummistiefel, Wechselkleidung oder Turnschuhe mit in die Kita und hätten seltener frisches Obst oder Gemüse zu essen. Dass Kinder ohne Frühstück oder körperlich ungepflegter in Einrichtung kämen, könnten ebenfalls Hinweise auf Armut sein.

Da Kinder bereits in der Kita soziale Unterschiede wahrnähmen, sei die Zeit in der Kita so wichtig: "Die Chancen eines Kitabesuchs liegen darin, dass alle Kinder das Gleiche erleben: Wenn Kinder die Kita betreten, betreten sie in eine Welt, in der die Herkunft erstmal egal ist", erklärte Brockmann. Es spiele keine Rolle, ob sie arm oder reich seien. "Sie alle werden in der Kita gleichermaßen gefördert, sitzen am gleichen Tisch und bekommen das Gleiche zu essen."

Das ändert in seinen Augen indes nichts an der Größe der Herausforderung für die Politk: "In der Armutsbekämpfung sehen wir einen besonderen Handlungsbedarf sowohl in NRW als auch in Deutschland."

Weitere Themen