Einfach mal abschalten und die Seele baumeln lassen: Keine Mails, keine Anrufe, kein Stress - so stellen sich die meisten Arbeitnehmer ihren Urlaub vor. Die Realität sieht oft anders aus. In einer aktuellen Yougov-Umfrage erklärten 37 Prozent der befragten Büroangestellten, dass sie auch in den Ferien für den Arbeitgeber erreichbar sind. Das sind sechs Prozent mehr als bei einer vergleichbaren Umfrage vor einem Jahr.
Verpflichtet sind Arbeitnehmer dazu nicht - im Gegenteil: "Eigentlich ist die Sache von der rechtlichen Seite her sehr einfach und klar: Urlaub ist arbeitsfrei", sagt der Fachanwalt für Arbeitsrecht Alexander Bredereck. "Ich bin nicht verpflichtet, im Urlaub irgendwelche Tätigkeiten zu verrichten, eine Telefonnummer zu hinterlassen, (...), oder meine Mails zu checken."
Beruf und Privatleben sind nicht mehr klar getrennt
Trotz der eindeutigen Rechtslage: Der Trend geht in die andere Richtung - vor allem auch nach drei Jahren Homeoffice, in denen sich die klaren Grenzen zwischen Beruf und Privatleben längst aufgeweicht haben. Nur eine Minderheit der rund 2.000 Befragten gab an, es gebe eine entsprechende Erwartungshaltung ihres Arbeitgebers. Eine Mehrheit von 80 Prozent erklärte stattdessen, das Ganze geschehe aus eigenem Antrieb. Die zweithäufigste Begründung lautete, man wolle wichtige Aufgaben und Projekte nicht gefährden.
Ob solche Aussagen immer ganz ehrlich gemeint sind? Schwer zu sagen. Wenn der Großteil der Kollegen ganz selbstverständlich jederzeit erreichbar ist, braucht es viel Courage, sein Recht auf ungestörte Urlaubstage einzufordern.
Egal ob freiwillig oder nicht: Mediziner sehen den Trend zur ständigen Erreichbarkeit kritisch. "Der Mensch ist darauf ausgerichtet, Phasen der An- und Entspannung zu erleben", sagt Gesundheitspsychologin Julia Scharnhorst. Wenn die Erholungsphasen dauerhaft fehlten, trete irgendwann fast sicher eine psychische oder körperliche Überlastung ein. "Wir werden krank", sagt Scharnhorst.
Gerichte: Ruhig mal den Chef wegdrücken
Auch deshalb haben Gerichte in der Vergangenheit immer wieder entschieden, dass Arbeitnehmer in ihrer Freizeit Anrufe vom Chef in der Regel ignorieren dürfen. Anderslautende Klauseln im Arbeitsvertrag seien unzulässig, erklärte das Bundesarbeitsgericht bereits vor mehr als 20 Jahren in einem Grundsatzurteil (9 AZR 405/99).
Allerdings gibt es auch ungeschriebene Gesetze: Von Führungskräften wird in der Regel erwartet, dass sie im Notfall stets für ihr Unternehmen erreichbar sind - auch wenn für sie theoretisch im Urlaub die gleichen Rechte gelten wie für alle anderen Arbeitnehmer auch. Chefs und Chefinnen dürfen aber gewöhnlich darauf hoffen, dass sie nicht wegen Lappalien gestört werden.
Keine Anrufe wegen Lappalien
Genau das passiere "normalen" Arbeitnehmern aber ständig, meint Gesundheitspsychologin Scharnhorst: "Wenn ich manchmal höre, mit welchen Fragen der Urlaub gestört wird, stellen sich bei mir alle Nackenhaare auf." Sie plädiert für klare Regeln, wann genau ein Kollege oder eine Kollegin im Urlaub kontaktiert werden darf - und vor allem wann nicht.
Beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) sieht man das ähnlich: "Manche Beschäftigte geben dem Druck nach, im Urlaub und in der Freizeit zu arbeiten", sagt Vorstandsmitglied Anja Piel: "Besser als ungeregelter Druck sind Betriebsvereinbarungen, die Erreichbarkeit in der Freizeit klar und unmissverständlich für alle regeln."
Diplom-Psychologin plädiert für individuelle Lösungen
Birgit Langebartels
Allgemeine Betriebsvereinbarungen seien oft sogar nur die zweitbeste Lösung, meint Birgit Langebartels, Diplom-Psychologin beim Marktforschungsinstitut Rheingold. "Klare Vereinbarungen ja. Aber vor allem individuelle Vereinbarungen." Manchen Arbeitnehmern sei es wichtig, auch im Urlaub über wichtige Entwicklungen im Job informiert zu werden. "Das ist dann eine freie Entscheidung, die muss man respektieren." Am besten lege man dabei aber genau fest, wie oft und bei welchen Fragen ein Kontakt gewünscht wird.
Allerdings gebe es auch die andere Seite: "Wenn jemand sagt 'Urlaub ist mir heilig", dann muss das genauso respektiert werden", betont Langebartels. Auch für Unternehmen habe eine solche Haltung Vorteile: Denn nur wer es schaffe, im Urlaub wirklich auszuspannen und sich zu erholen, könne nach seiner Rückkehr wieder mit voller Energie in den Job einsteigen.