"Mama, das war rassistisch": Rassismus beim Familientreffen
Stand: 08.04.2023, 06:00 Uhr
Familienzeit kann so schön sein - gerade an Feiertagen wie Ostern. Doch dann das: Ein rassistischer Spruch vom Onkel, eine unbedachte Äußerung der Mutter. Einfach überhören? Einen Streit riskieren? Alexandra und Robert mussten Rassismus erleben und erzählen, wie wir alle damit umgehen können.
Von Luisa Meyer
Wie subtil und verletzend Rassismus innerhalb der Familie sein kann, hat Alexandra Conrads erlebt. Sie ist Schwarz und wächst als Tochter weißer Eltern in einem katholischen Dorf im Rheinland auf. Außer ihr und ihrer Schwester ist die gesamte Familie weiß.
"Als Kind und Jugendliche hätte ich mein Leben auf keinen Fall als schwierig beschrieben. Ich hatte ein gutes Verhältnis zu meinen Eltern, sie hatten bestimmt keine rassistischen Intentionen. Rückblickend erkenne ich jedoch ein großes Unwissen über Rassismus - und eine große Hilflosigkeit im Umgang damit.
Anti-Rassimus-Trainerin Alexandra Conrads
Meine Eltern haben oft zutiefst rassistische Begriffe benutzt. Sie wollten mich damit abhärten. Die Idee war: Wenn ich zuhause damit konfrontiert bin, dann ist es für mich nicht so schlimm, wenn ich es von anderen höre. Als mich dann zum Beispiel in der Kirchengemeinde jemand rassistisch bezeichnet hat, wurde darüber gelacht, auch aufgrund des fehlenden Verständnisses des Umfelds, wie tiefgreifend Rassismus wirkt und in welchen Formen er sich zeigen kann.
Je mehr Rassismus ich beim Älterwerden erfahren habe, desto weniger habe ich meinen Eltern davon erzählt. Ich wollte nicht, dass sie sich Sorgen um mich machen. Im Studium habe ich angefangen, mich tiefer mit Rassismus zu beschäftigen. Ich habe mich intensiv damit auseinandergesetzt, in welcher Konstellation ich aufgewachsen bin. Das war extrem anstrengend und traumatisierend, im Nachhinein all die Dinge einordnen zu können. Mit Mitte 20 habe ich dann zum ersten Mal mit meinen Eltern offen darüber geredet. Für sie war das ein riesiger Schock."
Alexandra Conrads beschäftigt sich inzwischen beruflich mit Rassismus in Familien, als selbstständige Anti-Rassismus-Trainerin und Bildungsreferentin. Sie leitet Gruppen für weiße Eltern von nicht-weißen Kindern und lebt in Düsseldorf.
Rassismus in der Familie: Was dagegen tun?
Gibt es eine ideale Strategie für den Umgang mit Rassismus im Familienkontext? Alexandra Conrads sagt: Nein. Aber aus ihrer antirassistischen Beratungsarbeit kann sie einige Hinweise geben:
Wie ich mich verhalten kann, wenn ich Rassismus in der Familie erlebe
- Auf sich achten: "Wer den Schritt wagt, rassistisches Verhalten von Familienmitgliedern anzusprechen, muss mit Widerständen rechnen und immer wieder entscheiden, ob man sich dem aussetzen möchte. Ein Versuch, um ein Gespräch zu starten, könnte auch sein, ein antirassistisches Buch hinzulegen oder zu verschenken oder gemeinsam einen Film zum Thema zu schauen."
- Wen ansprechen? "Überlegen: Welche Familienmitglieder würden sich am ehesten auf einen Perspektivwechsel einlassen? Das können auch die Großeltern sein. Es stimmt oft nicht, dass die ältere Generation nicht mehr dazu lernen kann."
- Rassismus nicht ansprechen ist eine legitime Option: "Das kann ein Schutzmechanismus sein. Falls weiße Familienmitglieder sich immer wieder weigern, sich mit Rassismus auseinanderzusetzen, kann das letzte, schmerzhafte Mittel auch sein: für das eigene Wohlergehen Kontakte abbrechen. Grundsätzlich ist jede Strategie legitim – außer eine selbstzerstörerische."
Wie ich mich als nicht von Rassismus betroffene Person verhalten kann
- Wenn ich auf Rassismus angesprochen werde erstmal durchatmen: "Auf rassistisches Verhalten aufmerksam gemacht zu werden, kann das Selbstbild erschüttern. Schnell kann man Scham und Schuldgefühle verspüren. Aber es geht nicht um Schuld oder mich als Person, sondern um angelerntes Verhalten in einem System, in dem wir keinen Einfluss darauf haben, ob wir mit mehr oder weniger Privilegien geboren werden."
- Man bekommt Rassismus nicht automatisch mit: "Nur, weil man sich in der Familie nahe steht und viel Zeit miteinander verbringt, weiß man nicht, wie zum Beispiel Schwarze Angehörige sich fühlen. Oft gehen weiße Menschen fälschlicherweise davon aus, dass Rassismus gar kein Thema für die Person ist, weil nicht darüber gesprochen wird."
- Sich über Rassismus informieren: "Konkret um Rassismus in Familien geht es etwa in den Büchern von Tupoka Ogette, Alice Hasters und Josephine Apraku oder auf dem Blog 'blackinwhitefamily'."
Verbündeter sein. Auch selbst nicht von Rassismus betroffene Menschen können zuhören, sich einbringen und einen echten Unterschied für Betroffene machen. Das zeigt Robert Rasids Geschichte:
Seine Eltern sind Roma. In den 1990er Jahren flieht die Familie vor dem Jugoslawienkrieg nach Deutschland. Erst lebten sie in einer Unterkunft für Asylbewerber, dann nehmen zwei Deutsche sie bei sich auf: Helga und Heinz. Robert erlebt die beiden und seinen weißen Stiefvater als Mitstreiter gegen Rassismus und als Beschützer.
Robert Rasid, Sozialpädagoge
"Als ich ganz klein war, standen Hooligans bei uns vor der Tür, die das Haus abfackeln wollten. Tante Helga stand auf dem Balkon und rief: "Ich zähle bis fünf und dann knallt’s!" Sie drohte damit, den Hund loszulassen. Später erklärte sie mir, dass es Menschen gibt, die nicht wollen, dass wir hier sind. Ich brauche mir keine Sorgen zu machen. Ich habe mich dann sicher gefühlt.
Als ich Tante Helga erzählte, dass ich trotz meiner guten Deutschkenntnisse mit anderen nicht-deutschstämmigen Kindern in den Förderunterricht gesteckt wurde, sorgte sie dafür, dass ich in die Regelklasse kam. Ihr war klar, dass ich wegen meines Aussehens und meiner Herkunft anders behandelt wurde. Offen über Rassismus sprach sie jedoch nicht mit uns.
Meine Mutter hat dann nochmal geheiratet: Mein deutscher Stiefvater hat sich sehr für die Kultur meiner Mutter interessiert. Er hat Serbisch und Romanes fließend sprechen gelernt und kann unsere Tänze tanzen. Wenn ich bei der Ausländerbehörde schikaniert wurde, immer wieder neue Dokumente vorlegen musste – dann kam er beim nächsten Mal mit und plötzlich waren die Beamtinnen und Beamten viel freundlicher."
Robert Rasid arbeitet als Sozialpädagoge, er ist Vorsitzender der Migrantenselbstorganisation Audio Vita in Köln. Er engagiert sich im Verein Rom e. V. und begleitet oft Jugendliche zum Amt, die neu in Deutschland sind.