Hat die Lüftung bei Tönnies zur Masseninfektion geführt?

Stand: 24.06.2020, 21:10 Uhr

  • Grund für stark Corona-Verbreitung bei Tönnies noch unklar
  • Hygieniker der Uni Bonn rückt die Belüftung im Werk in den Fokus
  • Konsequenzen für die gesamte Fleischbranche möglich

Von Christian Wolf

Noch ist die Tönnies-Fleischfabrik in Rheda-Wiedenbrück geschlossen. Doch irgendwann wird der Corona-Ausbruch dort überstanden sein. Dann kehren die Arbeiter zurück und werden wieder Schweine schlachten und Wurst produzieren.

Das Virus wird dann aber noch nicht aus der Welt sein. Stellt sich also die Frage, wie ein erneuter Ausbruch verhindert werden kann?

Um das zu klären, braucht es mehr Informationen über die Ursachen des aktuellen Ausbruchs. Denn noch ist unklar, weshalb sich das Coronavirus in dem Fleischbetrieb so stark ausbreitete. Der Kreis Gütersloh hat sich dazu Rat geholt.

Zwei Tage lang hat der Hygiene-Professor Martin Exner von der Uni Bonn das Tönnies-Werk unter die Lupe genommen. Seine Ergebnisse könnten Folgen für die Fleischindustrie haben - weltweit. Denn Tönnies Rheda-Wiedenbrück ist nicht der erste Massenausbruch in einer Fleischfabrik.

Lüftungsanlage im Fokus

Exner hat bei seinen Untersuchungen einen "bislang übersehenen Risikofaktor" ausgemacht. Das sagte er am Mittwoch (24.06.2020) bei der Präsentation seiner Ergebnisse im Kreishaus Gütersloh. Hotspot der Keime ist die Lüftungsanlage in der Fleischfabrik und speziell im Schlachtbereich. Dort gab es besonders viele Infektionen.

Die Luft wird dort auf sechs bis zehn Grad Celsius heruntergekühlt, während die Arbeiter bei hohem Tempo und harter, körperlicher Belastung die geschlachteten Schweine zerlegen.

Um die Luft zu kühlen, wird diese laut Exner aus dem Raum gezogen, gekühlt und zurück in den Raum gebracht. Eine Reinigung oder Filterung der Luft gibt es nicht. Sie zirkuliert nur. Und genau das könnte zur Masseninfektion beigetragen haben. Denn die Viren von infizierten Arbeitern könnten dadurch verbreitet worden sein.

Als Kritik an der Firma Tönnies will der Leiter des Bonner Hygiene-Instituts das aber nicht verstanden wissen. Es sei nicht bekannt gewesen, dass solche Belüftungsanlagen auch kleinste Tröpfen, sogenannte Aerosole, in Bewegung halten könnten. "Das ist bislang überhaupt nicht als Problem angesehen worden."

Hochleistungsfilter könnten helfen

Exner erwartet, dass die neuen Erkenntnisse zu Konsequenzen in der weltweiten Fleischindustrie führen werden. So schlägt er Hochleistungsfilter für die Lüftung vor. Auch eine Behandlung mit UV-Strahlen, die die Viren abtöten, könne helfen.

Zudem müsse trotz körperlich harter Arbeiten weiterhin ein Mundschutz getragen und Abstand gehalten werden. Daran, dass das bei Tönnies auch getan wurde, gibt es Zweifel.

Die alleinige Schuld will der Hygienewissenschaftler der Belüftung allerdings auch nicht geben. So müsse die Suche nach anderen Infektionsherden weiter geführt werden. "Die Unterkünfte zählen zu den klassischen Faktoren", sagte er. Es gebe multiple Faktoren, von denen einige noch unbekannt seien.