PCR-Knappheit: Warum die Inzidenz an Aussagekraft verliert

Stand: 21.01.2022, 11:46 Uhr

Die Coronazahlen steigen und steigen. Gleichzeitig werden die Testkapazitäten knapp. Der Infektionsmodellierer Thorsten Lehr geht davon aus, dass ab einer Inzidenz von 1.000 bis 1.300 Schluss ist mit der Verlässlichkeit der Statistik.

Wenn es um die genaue Zahl der Corona-Neuinfektionen geht, stochert Deutschland schon seit Wochen im Nebel. Verantwortlich dafür ist einerseits die Omikron-Variante, die sich immer mehr verbreitet und die Zahl der Infektionen in die Höhe treibt. Für Unschärfen sorgt andererseits auch die Erfassung in den Gesundheitsämtern.

Diese konnten schon im Dezember, als sich die aktuelle Welle aufbaute, teilweise keine verlässlichen Daten an das Robert-Koch-Institut (RKI) liefern. Grund ist unter anderem, dass einige der Behörden über die Weihnachtsfeiertage nicht besetzt waren.

Fehlendes Personal, fehlende Geräte

Aktuell gibt es ein neues Problem: Die Kapazitäten, um die PCR-Tests auszuwerten, werden knapp. Das liege zum einen an fehlendem Personal, das ausreichend für die Tests ausgebildet sei. Zum anderen daran, dass die dafür benötigten Geräte fehlten und nicht so schnell beschafft werden könnten, sagte Infektionsmodellierer Thorsten Lehr, Professor für klinische Pharmazie an der Uni Saarbrücken in der "Aktuellen Stunde".

"Das ist mal wieder so ein Beispiel, wo man nur mit dem Kopf schütteln kann", so Lehr. "Es war vorhersehbar, was kommt, nur reagiert wurde leider nicht." Er vermutet, dass Deutschland aufgrund der fehlenden Testkapazitäten gepaart mit den hohen Infektionszahlen "sehr schnell wieder in einen gewissen Blindflug" übergehen werde.

"Den Weihnachtsnebel werden wir jetzt gegen den Omikron-Nebel austauschen." Thorsten Lehr, Infektionsmodellierer

Bewertung der Infektionslage wird immer ungenauer

Lehr geht davon aus, dass "bei einer Inzidenz von 1.000 bis 1.300 deutschlandweit Schluss sein dürfte mit aussagekräftigen Zahlen". Was uns dann bliebe, um die Situation einschätzen zu können, wäre der verstärkte Blick in die Krankenhäuser und eventuell das Einbeziehen der Schnelltest-Ergebnisse in die Inzidenz. "Richtig gut wird das aber nicht sein", sagte er. Unter anderem deshalb, weil die Zahlen der Patienten in den Krankenhäusern immer erst mit einer gewissen Zeitverzögerung zur Infektionszahl steige.

Langzeitfolgen einer Infektion nicht absehbar

Die Tests einzustellen und das Virus einfach "durchlaufen" zu lassen, hält Lehr aber für falsch. Das vergesse den Long-Covid-Aspekt und dass die Langzeitfolgen des Virus nicht absehbar seien. Solche Langzeitfolgen kenne man bei anderen Viren, beispielsweise bei den HP-Viren, die für die Entstehung von Gebärmutterhalskrebs verantwortlich seien.

"Deswegen bin ich nicht dafür, es einfach durchlaufen zu lassen, auch wenn es möglicherweise gerade eine sehr attraktive Situation darstellt." Thorsten Lehr, Professor für klinische Pharmazie, Uni Saarbrücken