"Man hat das Gefühl die Steuerung aus der Hand zu geben", so Christian Gehlen aus der Eifel. Er leidet unter Depressionen und hat vor mehr als einem Jahr eine Selbsthilfegruppe gegründet. Seine Depression beschreibt er auch als Taubheitsgefühl. "Man ist einfach nicht ganz bei sich."
Maskenpflicht, Abstand halten und nun gelten im November sogar noch stärkere Einschränkungen, soziale Kontakte sollen vermieden werden. Fitness-Studios, Kneipen und Konzerte sind ab Montag auch keine Alternative mehr. "Das wird jetzt nochmal schwieriger", so Gehlen.
Die Corona-Pandemie stellt nicht nur ein Risiko für die körperliche Gesundheit dar, sondern könnte laut Experten auch schwerwiegende Folgen für die psychische Gesundheit haben.
Psychische Erkrankungen nehmen zu
Erste Erhebungen zeigten bereits, dass Depressionen, Angststörungen und andere psychische Erkrankungen vor allem während der strengeren "Lockdown"-Phasen zugenommen hätten.
Nach Angaben der Techniker Krankenkasse lag der Anteil von Krankmeldungen aufgrund psychischer Diagnosen am Gesamtkrankenstand im ersten Halbjahr 2020 bei fast 20 Prozent.
Hilfe für Betroffene
Kein Wunder, dass sich da bei manchem der fast normale alljährliche Herbst-Blues zu einem dreifachen-November-Blues auswachsen kann. Professionelle Hilfe gibt es unter anderem bei folgenden Stellen:
- Therapeuten-Suche der Psychotherapeutenkammer Nordrhein-Westfalen | Psychotherapeutenkammer
- Stiftung Deutsche Depressionshilfe (Nachfolge des Kompetenznetzes Depression, Suizidalität) | mehr
- Freunde fürs Leben – Depression bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen | mehr
- Deutsche Depressionsliga | mehr
- Deutsche Gesellschaft für Bipolare Störungen e.V. | mehr
- Bundesverband der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen e.V. | mehr
Unsere Tipps gegen den dreifachen-November-Blues
Wir haben einige Tipps zusammengestellt, die helfen könnten.
1. Bewegung an der frischen Luft
"Etwas, das wirklich hilft, ist alles, was Ausdauer-Sport ist", sagt die Kölner Psychotherapeutin Gabriele Fischer. "Das gehört zu den Aktivitäten, die uns am allerschnellsten ausbalancieren." Auch wenn man es ab Montag nicht mehr als Gemeinschaft machen kann, weil Sportvereine und Fitnessclubs schließen müssen: Regelmäßig raus an die frische Luft, ans Tageslicht. Eine Runde Joggen, Fahrradfahren oder einfach nur Spazierengehen. Wer nicht joggen mag, kann vielleicht das "Walken" für sich entdecken - Hauptsache Bewegung.
Mit den Hormonen Endorphin, Serotonin oder Dopamin, die der Körper dann ausschüttet, hellt sich auch die Laune auf. Auf keinen Fall sollte man sich bei trüber Stimmung ins Bett zurückziehen, das verstärkt die negative Stimmung eher noch.
2. Den Tag klar strukturieren
Wenn ein Durchhänger droht, ist es wichtig, den Tag zu strukturieren: Klare Zeiten festlegen für das morgendliche Aufstehen, für Arbeits- oder Lernzeiten, für Mahlzeiten.
Wichtig: Auch schöne Dingen fest einplanen - wie lesen, Serie schauen, Balkon bepflanzen, Yogaübungen oder eben die Bewegung an der frischen Luft.
Für diejenigen, die einen Betrieb in einer der Branchen haben, die jetzt vom "Lockdown-Light" betroffen sind, gibt es aber natürlich auch konkrete Nothilfen.
3. Essen und Lachen
Gemeinsame Restaurant-Abende oder Essens-Einladungen bei Freunden fallen nun erstmal weg. Auch Konzerte und Kneipenbesuche werden im November fehlen. "Das sind die üblichen Ablenker, die eigentlich sonst viel Sorgen wegnehmen", sagt Gabriele Fischer. Das jetzt zu ersetzen falle natürlich schwer.
Aber die richtige Ernährung zu Hause kann bereits helfen. Ernährungsphysiologen schwören auf Nahrungsmittel, die für die Freisetzung des Glückshormons Serotonin sorgen. Dazu gehören Nüsse, Amaranth und Quinoa, Haferflocken, Sojabohnen und Eier.
Finnische und britische Forscher haben festgestellt, dass auch Lachen Glückshormone im Gehirn freisetzt und sogar das Immunsystem stärkt. Also: Wer kann, der lache, möglichst oft und viel.
4. Kontakte zu anderen Menschen - auch ohne direkten Kontakt
Auch vor dem November waren die Kontakte ja eingeschränkt, jetzt soll es privat bei Begegnungen von höchstens zwei Haushalten bleiben. Auch die Situation im Homeoffice macht vielen Betroffenen zu schaffen. Wenn die regelmäßige Begegnung mit den Kollegen fehlt, helfe es, sich mit Freunden und Familie zum Telefonieren zu verabreden, rät die Stiftung Deutsche Depressions Hilfe. Auch Chats oder Onlineforen seien hilfreich.
Aber die totale Selbstisolation muss nicht sein. "Sie dürfen sich jeden Tag mit jedem anderen verabreden, um spazieren zu gehen", so die Psychotherapeutin Fischer.
5. Corona-Ängste anerkennen
Zum üblichen Herbst-Blues kommen nun noch reale Ängste. Aktuell sorgen wir uns um unsere Liebsten, aber auch um unsere eigene Gesundheit. "Diese Ängste sind nicht neurotisch, sondern sehr ernst zu nehmen", rät Gabriele Fischer.
Manchmal gibt es auch eine Unsicherheit, was das neue Virus angeht. Ob man hundertprozentig sicher ist, könne einem niemand sagen, und wenn man noch so oft beim Gesundheitsamt anrufe. Man müsse anerkennen, dass die ganze Welt erst lerne. "Das ist schon einmal eine andere Basis um von da aus zu sagen, die Angst ist berechtigt - aber jetzt passe ich auf", so Fischer.
6. Sich auf etwas Schönes freuen
Natürlich sei die psychische Belastung besonders für Menschen, die sich durch die Corona-Einschränkungen ohnehin schon abgehängt fühlen, besonders groß und real, schreibt die Psychologin Katarina Stengler, Chefärztin am Helios Park-Klinikum Leipzig. Dazu gehörten Alleinerziehende, Geringverdiener oder auch Risikogruppen.
Ihr Tipp: Sich jetzt schon auf die Zeit nach der Krise vorzubereiten, könne helfen. Sich zum Beispiel langfristig auf etwas Schönes zu freuen - einen Urlaub oder unbeschwerte Treffen mit Familie und Freunden - setze Energien frei und schaffe Zuversicht.
"Das Licht am Ende des Tunnels zu sehen, ist auch eine große Erleichterung", findet Psychotherapeutin Fischer. Der "Lockdown-Light" gilt zunächst nur im November. Er soll die zweite Corona-Welle stoppen und wenn das klappt, könnte ja zumindest die Zeit um Weihnachten herum einigermaßen schön werden.
7. Licht
Nicht nur am Ende des Tunnels, sondern direkt am Anfang des Tages kann Licht in der dunklen Jahreszeit helfen. Um den Tag zu beginnen lohnen sich in jedem Fall Tageslicht-Lampen, wie Gabriele Fischer sagt: "Die sollten schon größer als DIN A4 sein, aber dann helfen sie vielen Menschen, vor allem wenn man jetzt oft im Homeoffice sitzt."
Aber auch die innere Einstellung könne helfen. "Entweder denkt man, schade, jetzt wird es so früh dunkel, oder man sagt sich, das war ein aktiver Tag und jetzt kommt ein gemütlicher Abend."
8. Selbsthilfe-Apps
Christiane Eichenberg, Diplom-Psychologin an der Sigmund Freud Privat-Universität in Wien, empfiehlt wissenschaftlich untersuchte Selbsthilfe-Apps, um die eigenen Stimmung zu verbessern oder Ängste zu lindern.
Informationen oder Tipps bekommen Betroffene bei ihren Krankenkassen oder Hausärzten. Auch die Stiftung Warentest hat im Juni 2019 Online-Selbsthilfe-Programme zur Akutbehandlung oder Prävention von Depressionen getestet, die auch am Desktop-Computer verfügbar sind.