Hype um Shopping-App Temu
Aktuelle Stunde. 05.08.2023. 18:49 Min.. UT. Verfügbar bis 05.08.2025. WDR. Von Jörg Schieb.
So funktioniert die neue Billig-Plattform "Temu" aus China
Stand: 04.08.2023, 14:15 Uhr
Vor allem bei jungen Leuten ist derzeit die Shopping-App Temu beliebt. Zu Ramschpreisen wird dort alles mögliche verkauft. Doch wie geht das?
Von Christian Wolf
Eine Smartwatch für 16,49 Euro, eine Jeans für 13,17 Euro und ein Fünferpack Socken für 1,79 Euro. Was total unglaubwürdig klingt, ist bei Temu gelebte Realität. Dabei handelt es sich um eine chinesische Shoppingplattform, die hierzulande gerade für Furore sorgt. Denn mit absoluten Kampfpreisen wird anderen Anbietern wie Amazon Konkurrenz gemacht. Und das mit Erfolg. In den App-Charts liegt Temu bereits auf Platz 1 - noch vor den anderen Internetgiganten Google oder WhatsApp.
Günstige Preise und hohe Rabatte
Doch was ist das Erfolgsrezept? Wer bei Temu auf die Seite oder in die App geht, merkt das schnell: Neben den Kampfpreisen für alle möglichen Produkte locken zusätzliche Aktionen die Kunden. Da wird die sowieso schon spottbillige Badematte von 7,99 Euro noch einmal um 56 Prozent reduziert. Und passend zum Schulanfang werden die Preise für Stifte um satte 82 Prozent gedrückt.
Jörg Schieb, WDR-Digitalexperte
"Temu ist perfekt zugeschnitten auf die Art und Weise, wie junge Menschen heutzutage einkaufen", sagt WDR-Digitalexperte Jörg Schieb. Denn neben dem reinen Shop habe Temu auch eine starke Anbindung auf Social Media. Auf Plattformen wie TikTok würden die gekauften Produkte von der jungen Kundschaft präsentiert. Hinzu kämen kleine Spiele in der App, die die Bindung verstärkten. "Alle Sinne werden also bedient", so Schieb.
Lieferung direkt aus der Fabrik
Möglich sind die Billigpreise, weil Temu anders arbeitet als zum Beispiel Amazon. "Ein großer Unterschied liegt darin, dass Temu keine Eigenprodukte hat und eine reine Plattform ist. Außerdem kommt alles direkt von der Fabrik. Alle Zwischenstationen werden aufgelöst", erklärt Schieb. Die Kostenstruktur ist also viel geringer. Das drückt den Preis. Außerdem handelt es sich meist um Noname-Produkte.
Was sagen Fachleute dazu? Handelsexperte Alexander Graf ist sich sicher: "Temu ist aus meiner Sicht keine Eintagsfliege. Wir befinden uns hier in der dritten Marktphase des E-Commerce." In der ersten Phase sei das 'Made in China' populär gewesen, bei dem in dem asiatischen Land produziert und dann über Zwischenhändler nach Europa verkauft worden sei. "In der zweiten Marktphase war es das 'Verkauft aus China'. Chinesische Hersteller haben da auf Plattformen wie Ebay oder Amazon an den Kunden verkauft."
Und inzwischen seien wir bei 'Vermarktet aus China' angekommen. "Das heißt, der Hersteller in China nutzt eine chinesische Plattform, um den Endkunden in Europa oder den USA zu erreichen." Alles aus einer Hand also.
Handel kann bei Preisschlacht nicht mithalten
Doch die Billig-Strategie hat trotzdem ihren Preis. "Es ist eine große Gefahr für den Handel hier bei uns. Die jungen Leute sind noch weniger bereit, mal in die Stadt zu gehen, wenn sie in der App für ein paar Euro alles bekommen", sagt Schieb. Hinzu kämen die Kosten für die Gesellschaft. Denn alles läuft ohne Mehrwertsteuer, Zoll oder andere Abgaben. Geschäfte in der Innenstadt müssen all das bezahlen. "Da muss sich die EU drum kümmern. Denn hier gehen Steuereinnahmen verloren, Arbeitsplätze und der Verbraucherschutz."
Hinzu kommt die Nachhaltigkeit. Wie genau die Arbeitsbedingungen bei einer für knapp mehr als 13 Euro verkauften Jeans sind, lässt sich nur erahnen. Gleiches gilt für den Umgang mit Retouren. Diese sind 90 Tage lang kostenlos möglich. Aber wo landet das für 2,54 Euro verkaufte T-Shirt, wenn es nach China zurückgeschickt wird? Der einfachste und günstigste Weg dürfte der Müll sein.
Mängel bei Qualität und Sicherheit
Und dann ist da noch die Sache mit der Qualität der Produkte: Das WDR-Magazin Servicezeit hat einen Probeeinkauf bei Temu gemacht. Manche Produkte waren durch den Transport in einer dünnen Plastikhülle bereits beschädigt. Zudem fiel auf, dass Waren wie eine LED-Lampe oder ein Dampfgarer in Wirklichkeit viel kleiner waren, als sie beim Kauf auf den Fotos wirkten.
Doch nicht nur das. Bei elektronischen Geräten fehlten CE-Prüfzeichen, die eigentlich vorhanden sein müssten. Auf einem Adapter stand ein gefälschtes Zeichen. Bedienungsanleitungen fehlten oder waren nicht in deutscher Sprache. Auch das ist vorgeschrieben. Ein Autotür-Öffner funkte auf einer verbotenen Militärfrequenz. Und eine Smartwatch entpuppte sich als ungesicherte Datenschleuder.
Zu all dem kommt noch, dass wenn direkt per Post in China bestellt wird, die Hersteller-Haftung ausgehebelt ist. Wer einen bei Temu gekauften Staubsauger an die Nachbarn verleiht, kann in Regress genommen werden, sollte der Akku dort Feuer fangen und einen Brand auslösen. Eine Anfrage an Temu zum Thema Sicherheit blieb unbeantwortet.
Verbraucherschützer scheinen aber die Hände gebunden zu sein. Denn anders als in Deutschland können sie keinen Anbieter in China verklagen bei Beschwerden. "Da können wir nicht tätig werden", sagte Andrea Steinbach von der Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz dem "Mindener Tageblatt". Und Viola Wohlgemuth von Greenpeace kritisierte: "Wir haben nur endliche Ressourcen. Was diese App aber vorantreibt, ist das Übernutzen von Ressourcen. Das können wir uns nicht mehr leisten."
Am Ende wird sich zeigen, ob und wie die Politik auf die chinesische Billigmasche reagiert - und ob den Verbrauchern allein der Preis wichtig ist.