"Autoritäre Regierungen verletzen gezielt Menschenrechte"
Stand: 10.12.2022, 10:40 Uhr
Samstag ist der internationale Tag der Menschenrechte. Der Generalsekretär von Amnesty International Deutschland erklärt im WDR-Interview, wie es mit den Menschenrechten in der EU aussieht und was man tun kann, um Menschen im Iran zu helfen.
Es gibt viele Beispiele, wo Menschenrechte nicht geachtet werden. Es geht von Klimageflüchteten bis zu Oppositionellen in Belarus. Der Generalsekretär von Amnesty international Deutschland, Markus N. Beeko, über die aktuelle Lage der Menschenrechte in der Welt und der EU.
WDR: Wie ist der Zustand der Menschenrechte insgesamt? In welche Richtung bewegt sich das?
Markus N. Beeko: Generalsekretär von Amnesty International in Deutschland
Markus N. Beeko: Wir haben ein bewegtes Jahr 2022 gesehen. Amnesty International musste bereits in den Vorjahren einige große Herausforderungen zu der Lage der Menschenrechte beobachten. Dazu gehörte, dass unter anderem zunehmend autoritäre Regierungen etablierte Menschenrechtsstandards nicht nur in Frage gestellt haben, sondern gezielt und systematisch verletzt haben und die Menschen verfolgt haben - Journalisten, Rechtsanwälte, Menschenrechtaktivisten -, die sich weiter für die Menschenrechte eingesetzt haben.
Das ging einher mit einer Vielzahl von Gesetzen, die in den letzten Jahren erlassen wurden, die vorgeblich soziale Medien regulieren oder Geldwäsche verhindern sollen, aber eigentlich massiv Zivilgesellschaft, Meinungsfreiheit und Versammlungsfreiheit einschränken.
Daneben haben wir gesehen, dass es die großen Trends gab, wie immer mehr bestimmte Bevölkerungsgruppen als Sündenböcke entweder ausgegrenzt werden, oder ihnen bewusst ihre Menschenrechte abgesprochen werden.
Über all diesen beiden Entwicklungen kommt dann, dass zunehmend auch (…) Kriegsverbrechen begangen werden, ohne, dass sie geahndet werden. Insofern ist der russische Angriffskrieg auf die Ukraine Anfang des Jahres hier die Spitze eines Eisbergs und das fordert jetzt alle Regierungen weltweit, denn wir brauchen hier wieder eine Stärkung von Menschenrechtsstandards.
WDR: Was müsste aus dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine für Konsequenzen gezogen werden, mit Blick auf die Achtung der Menschenrechte?
Beeko: Zum einen gilt, dass alles unternommen werden muss, um die aktuelle humanitäre Krise für Menschen, die gezielt getötet werden, die von Versorgungsengpässen bedroht sind, zu lindern. Dazu gehört auch, dass weiter Staaten Flüchtende aus der Ukraine aufnehmen, dass die Diskussionen (...) insofern ausgerichtet werden, dass man Menschen Schutz bietet und Unterstützung gibt.
Das zweite ist, dass die russischen Kriegsverbrechen international verfolgt werden müssen. Dafür sind gute Grundlagen gelegt, Amnesty International (...) und auch viele Behörden, ukrainische NGOs haben die Vielzahl von Kriegsverbrechen dokumentiert (...). Das muss fortgesetzt werden.
WDR: Jetzt schauen wir mal auf einen ganz aktuellen Konflikt. Was kann man dagegen tun, dass ein Land wie der Iran Menschen, die gegen die Regierung protestieren, im Schnellverfahren aburteilt und auch zum Tode verurteilt?
Beeko: Die desolate Menschenrechtslage im Iran ist jetzt besonders dramatisch, sie ist aber nicht neu. Und die Staatengemeinschaft hat in der Vergangenheit versäumt, auf die eklatanten Menschenrechtsverletzungen mit iranischen Regimes entsprechend zu reagieren. Das gilt für die massive Anwendung der Todesstrafe, das gilt für die Folter in den Gefängnissen und das galt bereits für die gewaltsame Niederschlagung von Protesten – beispielsweise im Jahr 2019. Deshalb ist gut, dass jetzt zumindest auf UN-Ebene dieser Sonderermittlungsmechanismus eingerichtet wurde. Es ist gut, dass die Bundesregierung das auch intensiv verfolgt hat.
Was kann noch getan werden? Es muss beispielsweise das Weltrechtsprinzip angewendet werden. Das bedeutet, dass diejenigen, die verantwortlich sind für schwere Menschenrechtsverletzungen im Iran überall auf der Welt, auch in Deutschland, verfolgt werden können, dass gegen sie ermittelt wird und dass sie verurteilt werden können. Weil die Straflosigkeit im Iran ja ein großes Problem ist, das dann dazu führt, dass es zu Menschenrechtsverletzungen kommt.
WDR: Wie sieht es mit der Achtung der Menschenrechte in der Europäischen Union aus? Wir haben ja keine Diktaturen, eigentlich müssen wir die Menschenrechte achten, oder?
Beeko: Die Europäische Union wird ihren eigenen Ansprüchen und auch ihren Verpflichtungen - sei es aus der Europäischen Menschenrechtskonvention oder aus der EU-Charta - an vielen Stellen leider nicht gerecht. Dazu gehört insbesondere der Flüchtlingsschutz, wo es systematisch seit vielen Jahren eklatante Verstöße gibt, wo Menschen an europäischen Außengrenzen, aber auch in Einrichtungen in Europa unzumutbaren Zuständen ausgesetzt sind. Wir haben auch das Thema des Sterbens im Mittelmeer.
Man kann nur hoffen, dass jetzt diese große Flüchtlingsbewegung in Europa durch den Ukraine-Krieg nochmal alle zum Nachdenken bringt und fragt: Wie will Europa zukünftig mit dieser Verpflichtung des Flüchtlingsschutzes, des Schutzes derer, die am verletzlichsten sind, umgehen?
Wir haben das Interview im WDR 5 Morgenecho hier sprachlich geglättet und gekürzt.