Unikliniken: Warum die Streikenden ausfallende OPs in Kauf nehmen

Stand: 10.06.2022, 20:58 Uhr

In den Unikliniken NRWs fallen zurzeit tausende Operationen aus, weil Mitarbeiter streiken. Doch die Streikenden sagen: Ihr Arbeitskampf sei auch im Sinne der Patienten.

Von Nina Magoley

Seit Wochen sind an den sechs Unikliniken NRWs viele Stationen geschlossen - oder werden im Minimalbetrieb gefahren. Notaufnahmen sind teilweise dicht, Patienten werden abgewiesen. Nach Angaben der Kliniken fielen in Düsseldorf bislang fast 1.000 Operationen aus, in Essen 1.570 und an der Uniklinik Münster mehr als 1.600. Der Grund: Das Pflegepersonal streikt - bereits seit Anfang Mai.

Streikschild: Bitte sterben Sie langsam, wir haben keine Zeit

Seit Wochen streiken die Mitarbeiter

Albert Nowak, Intensivpfleger an der Uniklinik Köln, geht der Streik mittlerweile an die Nieren - genau, wie vielen seiner Kolleginnen und Kollegen, berichtet der 24-Jährige. Dass durch den Streik auch Patienten in Mitleidenschaft gezogen würden, sei allen bewusst. "Viele sagen aber, das muss jetzt sein, so kann es nicht weitergehen." Wenn es weitergehe wie gehabt, seien Patienten ebenso gefährdet - als Dauerzustand: "Da kann jeder von uns hunderte Geschichte erzählen."

Keine Zeit für kleine Pausen

Die konnte man am Freitag in Düsseldorf tatsächlich hören, wenn man es wissen wollte: Parallel zu den Verhandlungen hatten rund 1.000 Klinikbeschäftigte demonstriert. "Wir kommen oft stundenlang nicht dazu, etwas zu trinken oder auf die Toilette zu gehen", sagt Jochen Schlüter, der als Pfleger seit 35 Jahren an der Uniklinik Düsseldorf arbeitet.

Immer wieder komme es vor, dass ein verwirrter Patient die Station unbemerkt verlasse. Einmal sei einer mitten im Winter, schon völlig unterkühlt, erst von einem Polizeihubschrauber in der Stadt aufgefunden worden. Die Angehörigen hätten dem Pfleger dann in heller Aufregung das Versprechen abverlangt, dass das nie wieder vorkomme. "Solch ein Versprechen kann ich nicht geben", sagt Schlüter resigniert. Und nach der Arbeit fehle vielen Kollegen die Kraft, soziale Kontakte zu pflegen: "Man legt sich auf die Couch, und das war es dann."

Mit den Kliniken hätten die Streikenden eine Notdienstvereinbarung getroffen: Dringende Fälle würden täglich gemeldet, bei Bedarf würden Streikende in den Dienst geschickt, um Patienten nicht zu gefährden. Dass die Lage so eskaliert ist, sei vermeidbar gewesen, sagt Schlüter: 100 Tage hätte das Krankenhauspersonal zuvor gewarnt und zu Gesprächen aufgerufen - ohne Erfolg.

"Wem helfe ich zuerst?"

"Wir wollen mehr Personal für adäquate und menschliche Versorgung der Patienten", sagt ein anderer Streikender. Stattdessen komme es oft vor, dass er allein sei mit 14 Patienten, "davon zum Beispiel drei kreislauf-instabil". Dann müsse er sich entscheiden: Um wen kümmert man sich zuerst? "Das ist nicht schön."

Ein Beschäftigter der NRW-Unikliniken, der am Streik teilnimmt

"Streik der einzige Hebel"

"Wir alle haben Standards gelernt, die wir aber in der Pflege nicht umsetzen können - aus Zeitmangel", berichtet ein weiterer Streikender in gelber Warnweste. Er kenne keinen, der jetzt gerne streike, keinem falle das leicht, aber der Streik sei "leider der einzige Hebel, Gehör zu finden". Und angesichts des enttäuschenden Ergebnisses dieses Tages sei noch kein Ende absehbar.

Es geht also nicht ums Geld, sondern um bessere Arbeitsbedingungen. Konkret: Um mehr Personal.

Am Freitag haben die Unikliniken nun erstmals einen Vorschlag zur Entlastung der Pflegekräfte unterbreitet. In einer gemeinsamen Erklärung kündigten sie Entlastungstage für "in der Pflege am Patienten arbeitenden Beschäftigte" an, gleichzeitig soll das Personal in mehreren Stufen aufgestockt werde. Pflegekräfte im Schichtdienst sollen in der ersten Entlastungsstufe fünf zusätzliche freie Tage bekommen. "Wenn der geplante Personalaufbau und damit auch die Entlastung in der täglichen Arbeit der Beschäftigten gelingt, soll die Anzahl der freien Tage stufenweise reduziert werden", heißt es.

Intensivpfleger: "Maßlos enttäuscht"

"Ich kann meinen Frust nicht in Worte fassen", sagt Intensivpfleger Nowak. Als Verdi-Mitglied saß er am Freitag mit in der Tarifverhandlung. "Wir sind maßlos enttäuscht", vor allem, weil das Angebot der Unikliniken sämtliche Forderungen des überlasteten Personals "konterkariere".

So fordern die Pflegekräfte für eine gute und sichere Patientenversorgung zum Beispiel auf den Intensivstationen einen Pfleger-Patienten-Schlüssel im Verhältnis 1 zu 1,5. Immer dann, wenn dieser Schlüssel nicht eingehalten werden kann, soll es "Belastungspunkte" geben. Ist eine bestimmte Zahl von Belastungspunkten erreicht, bekommt die Pflegekraft einen Tag frei, um wieder Kräfte sammeln zu können. Das soll für alle an der Uniklinik Arbeitenden gelten, "denn auch andere Berufsgruppen sind überlastet", sagt Nowak.

Die Kliniken aber hätten heute ein Angebot gemacht, das neben einer Personalaufstockung lediglich einen freien Tag pauschal vorsieht - unabhängig davon, wie die Belastungssituation tatsächlich ist, sagt Nowak. Zudem hätten die Arbeitgeber sich damit weitestgehend auf das Pflegepersonal bezogen - "weil sie diese Löhne vom Bund zum Teil refinanziert bekommen".

Vor allem vom Land erwarteten die Streikenden jetzt Aktion: Geld, um mehr Stellen zu finanzieren. Doch das NRW Gesundheitsministerium hat sich auch nach vielen Wochen Streit und Streik noch nicht positioniert.