Aus den Augen, aus dem Sinn - so kommt sich manch eine Pflegekraft dieser Tage vor. Vor zwei Jahren waren sie noch die gefeierten Helden der Corona-Pandemie. Doch schon damals war die Sorge groß, dass es nur beim Beifall am offenen Fenster bleiben würde. Mehr Personal, bessere Arbeitsbedingungen? Pflegerinnen und Pfleger waren skeptisch, ob das eine Lehre aus der Pandemie sein würde.
Streiks an Unikliniken für Entlastungen
Inzwischen ist Corona nicht mehr das Top-Thema und damit auch die große Aufmerksamkeit verflogen. Offenbar war die Skepsis berechtigt. Denn statt sich über Besserungen zu freuen, geht der Kampf dafür weiter. In diesen Tagen erreicht er sogar einen neuen Höhepunkt. Seit Mittwoch wird an den sechs Unikliniken in NRW gestreikt. Die Beschäftigten kämpfen nicht für mehr Geld, sondern dafür, dass es einen Tarifvertrag mit konkreten Entlastungen gibt. So wird zum Beispiel eine verbindlich festgeschriebene Mindestzahl beim Personal gefordert, damit sich Pflegekräfte nicht mehr um zu viele Patienten kümmern müssen.
"Ein Unding, dass wir jetzt streiken müssen"
Einer der Streikenden ist Albert Nowak. Der 24-Jährige ist Intensivpfleger an der Uniklinik Köln und sagt: "Es ist bitter und eigentlich ein Unding, dass wir jetzt streiken müssen. Doch leider hat die Landesregierung nichts getan, um auf unsere Forderungen einzugehen." Nowak spricht von "Lippenbekenntnissen". An seiner Arbeitsbelastung habe sich nichts geändert. Noch immer gebe es zu wenig Personal. Es komme vor, dass er auf der Intensivstation drei Patienten betreuen müsse, obwohl teilweise eine 1:1-Betreuung und manchmal auch zwei Pflegekräfte notwendig wären. "Das ist jeden Tag gefährlich. Es werden Dinge übersehen, für manche Sachen bleibt keine Zeit." Dieses Dilemma sei emotional und körperlich hoch belastend.
Ultimatum der Gewerkschaft wurde verstrichen
Doch warum gibt es jetzt eigentlich den Streik an den Unikliniken? Anfang des Jahres hatte die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi der Landesregierung und dem Arbeitgeberverband des Landes (AdL) ein Ultimatum gestellt: Bis zum 1. Mai brauche es einen Tarifvertrag zur Entlastung der Beschäftigten. Doch laut Verdi hat es auf die im Januar gestellten Forderungen und das Ultimatum keine Antwort gegeben. Deshalb nun der Streik.
Für die Landesregierung kommt der Arbeitskampf zur Unzeit. Schließlich wirft es kein gutes Licht auf die eigenen Leistungen, wenn wenige Tage vor der NRW-Wahl das Personal an den größten Kliniken im Land im Ausstand ist. Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) versuchte zwar kurz vor Streikbeginn noch, auf die Beschäftigten zuzugehen, indem er in einem Interview versicherte: "Die Landesregierung will Verhandlungen über einen Entlastungs-Tarifvertrag möglich machen. Die Überlastung des Pflegepersonals ist ein massives Problem." Doch der Ärger beim Klinikpersonal scheint größer zu sein.
Davon kann auch die Verdi-Landesfachbereichsleiterin Katharina Wesenick berichten. "Das Vertrauen in die Politik bei den Beschäftigten im Gesundheitssystem ist zerstört." Die Entfremdung zwischen der Politik und den Beschäftigten sei tief. Das sagt auch Intensivpfleger Nowak: "Wir sind enttäuscht und ein Stück weit sauer."
Gespräch ohne Durchbruch
Doch immerhin: Es wird gesprochen. Am Mittwoch fand ein Gespräch von Verdi mit Laumann und Wissenschaftsministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen (parteilos) statt, die ebenfalls mitzuständig ist. Einen Durchbruch gab es aber offenbar nicht. "Es gibt nach wie vor kein konkretes Verhandlungsszenario", sagt Wesenick. Trotzdem sei "Bewegung" drin. Es gäbe Vorschläge der Landesregierung, die nun intern besprochen werden müssten. Der "Frust" und das "Unverständnis" seien jedoch groß, "dass das erst jetzt auf den letzten Metern passiert". "Wir haben der Landesregierung schließlich drei Monate Zeit gegeben."
Tatsächlich scheint erst in den vergangenen Tagen Bewegung in die Sache gekommen zu sein. Während lange Zeit nichts passierte, wird sich nun um eine Lösung bemüht. Ein Problem ist offenbar, dass NRW nicht komplett frei entscheiden kann. Laut Verdi hat die Tarifgemeinschaft der Länder, ein Zusammenschluss fast aller Landesregierungen, mögliche Verhandlungen in NRW über einen Tarifvertrag abgelehnt. Verdi-Expertin Wesenick spricht von "verbandspolitischen Spielchen". Nun wird ein Weg gesucht, wie trotzdem über einen Tarifvertrag verhandelt werden kann.
Kritik an der Landesregierung
Für die SPD ist das Thema im Wahlkampf ein gefundenes Fressen. Erst am Freitag suchte Spitzenkandidat Thomas Kutschaty den Schulterschluss mit den Beschäftigten und stellte sich hinter deren Forderungen. Und auch die Grünen zeigen Verständnis. Die Streiks seien die logische Konsequenz "aus dem Nicht-Hinsehen und Nicht-Handeln der Landesregierung", sagte Fraktionschefin Josefine Paul dieser Tage.
Diesen Eindruck will man in Düsseldorf so nicht stehen lassen. Aus dem Gesundheitsministerium heißt es: "Die Landesregierung will seit Wochen einen 'Tarifvertrag Entlastung' und entsprechende Tarifverhandlungen ermöglichen, um die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten deutlich zu verbessern." Derzeit befinde man sich in "guten Gesprächen", wie dies umgesetzt werden könne.
Massive Beeinträchtigung durch Streiks
Derweil gehen die Streiks weiter. Laut Verdi stehen 70 Prozent der OP-Kapazitäten still, alle planbaren Eingriffe würden verschoben. Auch einzelne Stationen müssten geschlossen werden. An den ersten beiden Tagen hätten sich insgesamt 4.000 Beschäftigte an dem Ausstand beteiligt.
Selbst wenn es bald Verhandlungen geben sollte, bedeutet das offenbar nicht, dass dann die Streiks zu Ende gehen. Das macht Intensivpfleger Nowak deutlich. "Wir hören erst auf, wenn der Tarifvertrag unterschriftsreif ist. Auf das gesprochene Wort verlassen wir uns nicht mehr."