Massive Silvester-Einsätze der Polizei: Das neue Normal?

Aktuelle Stunde 02.01.2024 02:48 Min. Verfügbar bis 02.01.2026 WDR Von Carsten Upadek

Silvester: Mehr Polizei gleich weniger Krawall?

Stand: 02.01.2024, 15:13 Uhr

Die Silvesterfeiern in NRW-Großstädten sind relativ glimpflich verlaufen. Die Polizei begründet das mit ihrer starken Präsenz: Man habe "Sicherheit produziert". Doch an dieser Gleichung gibt es Zweifel.

Von Andreas Poulakos

Trotz vieler Polizeieinsätze ist die Silvesternacht in den meisten Großstädten Nordrhein-Westfalens friedlich geblieben. In einer Einschätzung der Landesleitstelle war die Rede von einer "silvestertypischen Nacht". Dennoch gab es einige Ausreißer, zum Beispiel in Solingen: Dort hatten sich mehrere Dutzend junge Männer eine Straßenschlacht mit der Polizei geliefert, bei der die Beamten mit Böllern, Raketen und Steinen beschossen und beworfen wurden.

Insgesamt sei die hohe Polizeipräsenz in der Silvesternacht erfolgreich gewesen, erklärte der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Jochen Kopelke, am Dienstag im WDR. "Wir stellen fest, dass der massive Einsatz, also das Aufstocken der Personalstärken natürlich dazu beigetragen hat, dass wir viel mehr Sicherheit produzieren konnten." Gleichzeitig forderte Kopelke, die Sicherheitsbehörden personell besser auszustatten: "Viel hilft viel."

Auch das Wetter kann Einfluss auf den Verlauf von Silvester haben

Für den Sozialanthropologen und Kriminologen Nils Zurawski ist das zu kurz gedacht. Der Tenor sei: "Seht her! Nur durch uns ist es verhindert worden." In Wirklichkeit könne niemand mit Sicherheit sagen, ob der Rückgang der Angriffe auf Einsatzkräfte wirklich mit der erhöhten Polizeipräsenz zusammenhänge. "Das wissen wir nicht. Es gibt keine Empirie", betont Zurawski, der auch als wissenschaftlicher Leiter der Forschungsstelle für strategische Polizeiforschung an der Akademie der Polizei Hamburg tätig ist. Es gebe auch andere Erklärungen für den aus polizeilicher Sicht guten Verlauf der Feiern. "Ich weiß jetzt nicht, wie das Wetter am Silvesterabend in Köln oder Berlin war."

Gewalt wird meist nicht geplant

Nils Zurawski

Nils Zurawski

Insgesamt sei die öffentliche Diskussion um Gewaltexzesse bestimmter Gruppen seltsam "geschichtsunbewusst", sagt Zurawski. "Es gab schon immer Gruppen von Jugendlichen, die sich mit Böllern beworfen haben." Angriffe auf Polizisten und andere Einsatzkräfte seien außerdem nichts, was akribisch geplant werde, um irgendeine politische Agenda zu befördern. "So etwas entsteht aus einer Situationsdynamik heraus." Bei jungen Männern, egal ob sie jetzt einen migrantischen Hintergrund haben oder nicht, in sozial benachteiligten Vierteln wohnen oder nicht, sei die Polizei noch nie gern gesehen gewesen.

Angriffe mit Böllern auf Ordnungskräfte seien zwar asozial und gefährlich, aber nur selten ein Zeichen für eine grundsätzliche Ablehnung des Staates und seiner Repräsentanten. "Ich verteidige das nicht. Aber es ist auch nicht der Untergang des Abendlandes. Es ist meistens einfach nur bescheuert." Die Idee, dass allein Abschreckung gegen Gewalttäter helfe, das seien Vorstellungen eines Obrigkeitsstaates. "Ich würde mir wünschen, dass die Polizei begreift: Gewisse Teile der Bevölkerung mag uns nicht. Aber man kann trotzdem eine Beziehung zu diesen Leuten aufbauen - ohne gleich wie ein Sozialarbeiter zu agieren."

Mehr Kommunikation - nicht nur vor Silvester

Die Polizei dürfe nicht nur in problematischen Vierteln auftauchen, wenn es mal wieder geknallt hat, fordert Zurawski. Die Bezirksbeamten sollten auf die jungen Leute zugehen. "Ich bin hier der Polizist, wir kennen uns. Ich bringe dir Respekt entgegen und erwarte dasselbe auch von dir." Aber das funktioniere natürlich nicht auf die Schnelle, zwei Wochen vor Silvester. "Das muss immer so laufen."

Zurawski vermutet allerdings, dass zu Silvester und anderen problematischen Terminen künftig immer wieder auf eine hohe Polizeipräsenz gesetzt wird. "Die Politik sitzt auch in einer Falle. Traut sich jemand, im kommenden Jahr die Zahl der Einsatzkräfte wieder zu reduzieren?"

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