Nach Geiselnahme in Hamburg: Sicherheitsproblem an Flughäfen
Aktuelle Stunde. 06.11.2023. UT. Verfügbar bis 06.11.2025. WDR. Von Andreas Hodapp.
Nach Geiselnahme in Hamburg: So sind die NRW-Flughäfen gesichert
Stand: 06.11.2023, 20:14 Uhr
Die Geiselnahme am Hamburger Flughafen hat eine Debatte über die Sicherheit deutscher Airports ausgelöst. Wie die Flughäfen in NRW reagieren - und warum es an einigen Kritik gibt.
Von Victor Fritzen und Andreas Hodapp
Das Rollfeld eines Flughafens ist Hochsicherheitszone. Mitarbeiter brauchen eine entsprechende Berechtigung und Passagiere müssen von der Tasche bis zum Hosengürtel alles kontrollieren lassen. Und trotzdem konnte am Wochenende der Geiselnehmer von Hamburg samt Tochter mit einem Auto auf das Rollfeld fahren, von wo aus er in die Türkei wollte.
Zwar sagt der Flughafen: Die Sicherheitsmaßnahmen entsprechen den gesetzlichen Vorgaben. Aber offenbar dämmert auch den Verantwortlichen, dass das nicht reicht. Und das gilt nicht nur für Hamburg. Wir haben am Montag die sechs größten Flughäfen in NRW angefragt - und mehrere sagen: Wir werden unsere Sicherheitsmaßnahmen überprüfen.
1. Flughafen Düsseldorf
Beispiel Düsseldorf: "Der aktuelle Vorfall in Hamburg bestärkt uns darin, uns als Branche und als Flughafen Düsseldorf proaktiv mit den Behörden zu unserem Sicherheitskonzept auszutauschen. Dabei werden auch Maßnahmen untersucht werden, um den Schutz an den Toren weiter zu erhöhen", teilt Pressesprecher Süleyman Ucar mit. Der Flughafen Düsseldorf (DUS) als größter in NRW sei unter anderem von einem rund 13 Kilometer langen Zaun umschlossen.
Das Sicherheitskonzept gehe in Teilen über die hohen EU-rechtlichen Anforderungen hinaus, sagt der Sprecher. "Wenn sich jemand unbefugt Zutritt zum Sicherheitsbereich verschaffen sollte, bleibt dies nicht unerkannt, die Alarmierungskette wird umgehend aktiviert und es werden Maßnahmen ergriffen mit dem Ziel, eine Gefährdung von Dritten auszuschließen."
Eine Decke liegt über einem Sicherheitszaun mit Stacheldraht am Flughafen Düsseldorf
Trotzdem waren im Juli Klimaaktivisten der "Letzten Generation" auf das Rollfeld gelangt und hatten sich auf der Start- und Landebahn festgeklebt. "Wir müssen kritische Infrastrukturen besser schützen. Und das ist ein Beispiel, warum das erforderlich ist", hatte bereits damals der Kriminalhauptkommissar und SPD-Bundestagsabgedordnete Sebastian Fiedler angemahnt. "Vor allem, wenn man sich vorstellt, die hätten keinen Klebstoff an der Hand gehabt, sondern Sprengstoff."
2. Flughafen Köln/Bonn
Ein anderes Beispiel ist der Flughafen Köln/Bonn (CGN) - gemessen an der Passagierzahl der zweitgrößte Airport in NRW. Die Pressestelle betont, dass die Sicherheit "oberste Priorität" habe - und der Flughafen über ein umfassendes Sicherheitskonzept verfüge, "das darauf abzielt, Menschen zu schützen, das Gelände zu sichern und reibungslose betriebliche Abläufe sicherzustellen". Dieses Konzept werde stets weiterentwickelt und regelmäßig von den Aufsichtsbehörden überprüft.
Ein Flugzeug hebt vom Flughafen Köln/Bonn ab
Das umfasse eine Vielzahl ineinandergreifender Schutzmaßnahmen, die sämtliche gesetzliche Anforderungen und internationale Sicherheitsstandards erfüllen. "Zudem überprüft und optimiert der Flughafen fortlaufend seine Schutzmechanismen und Sicherheitsvorkehrungen, sei es durch technische Verbesserungen, bauliche Maßnahmen oder personelle Anpassungen."
Als ein WDR-Team allerdings heute dort ist und sich das anschaut, scheint es eher einfach, dort ranzukommen. Unüberwindbare Hindernisse sieht das Team nicht. Kameras und intelligente Zäune, die Eindringlinge melden, auch nicht. Teile des Zauns wirken eher wie Baumarktware.
3. Flughafen Dortmund
Die Betreiber des Flughafens Dortmund (DTM) wollen - ähnlich wie die Düsseldorfer - in Absprache mit den Behörden "das Sicherheitskonzept überprüfen und gegebenfalls weitere Maßnahmen treffen, um Unbefugten den Zutritt zu verwehren", teilt Pressesprecherin Carolin Rathmann mit. Man nehme die jüngsten Ereignisse in Hamburg sehr ernst.
Der drittgrößte NRW-Airport hat knapp 13 Kilometer Zaun, "der unsere Flächen vor unbefugtem Zutritt schützt und den es zu überwachen gilt". Trotz umfangreicher Sicherheitsmaßnahmen könne bei einem Areal dieser Größe aber nie 100-prozentig ausgeschlossen werden, dass Unbefugte auf illegale Weise die baulichen Hürden überwinden, schreibt die Pressesprecherin.
4. Flughafen Weeze
Flughafen Weeze: Fluggäste mit Handgepäck auf dem Weg zum Terminal
Auch Weeze will reagieren "Der jüngste Vorfall in Hamburg wird auch in Weeze zum Anlass genommen, die bestehenden Sicherungsmaßnahmen in Abstimmung mit den Behörden zu überprüfen", schreibt ein Sprecher. Rund um den Airport gebe es unter anderem einen zwölf Kilometer langen Zaun. Neben den baulichen Maßnahmen, die nicht statisch seien, seien Alarmketten etabliert, die bei einem möglichen Vorfall sofort greifen würden.
5. Flughafen Münster/Osnabrück
Auch am Flughafen Münster/Osnabrück (FMO) haben die Diskussionen um die Sicherheitsstandards begonnen. "Aktuell entsprechen die Maßnahmen sicherlich einem sehr hohen Standard und werden am FMO auch vollständig eingehalten. Trotzdem bedingen die Ereignisse in Hamburg, dass gemeinsam mit den Sicherheitsbehörden vor Ort die bestehenden Sicherheitskonzepte evaluiert werden und - wo erforderlich – auch zusätzliche bauliche, technische bzw. organisatorische Maßnahmen ergriffen werden", teilt ein Sprecher dem WDR mit.
Rund um das Gelände sei auf einer Länge von rund sechs Kilometern ein Zaun nach Vorgaben der ICAO (International Civil Aviation Organization), nach EU-Vorgaben und nationalen Auflage gebaut. Es gebe zudem eine robuste Schleuse mit zwei separaten Rolltoren, die nacheinander und nach erfolgter Kontrolle des jeweiligen Fahrzeug geöffnet werden. "Ein Durchbrechen durch einen Pkw ist hier nicht möglich."
6. Flughafen Paderborn-Lippstadt
Flughafen Paderborn-Lippstadt
Am Flughafen Paderborn-Lippstadt (PAD) in Büren-Ahden ist das gesamte Gelände "gemäß den internationalen Bestimmungen für Verkehrsflughäfen eingezäunt. Die Ein- und Ausfahrten sind mit Metalltoren beziehungsweise Rolltoren gesichert", erklärt Sprecher Matthias Hack auf WDR-Anfrage.
Derartige Vorfälle wie der in Hamburg oder im Sommer in Düsseldorf habe es dort noch nie gegeben. Hack betont: "Aus unserer Sicht bewegen sich die gesetzlichen Bestimmungen bei Verkehrsflughäfen, insbesondere auch im Vergleich zu anderen Verkehrsinfrastruktureinrichtungen, auf einem besonders hohen Niveau."
Wie die Sicherheit kontrolliert wird
Das Luftsicherheitsgesetz schreibt unter anderem vor, dass Flughafenbetreiber zum Schutz vor Angriffen verpflichtet sind, "die Bereiche der Luftseite gegen unberechtigten Zugang zu sichern und, soweit es sich um Sicherheitsbereiche oder sensible Teile der Sicherheitsbereiche handelt, den Zugang nur hierzu besonders berechtigten Personen zu gestatten".
Für die Genehmigung und Kontrolle auf den drei internationalen Verkehrsflughäfen Düsseldorf, Köln/Bonn und Münster/Osnabrück ist das Land NRW zuständig. Alle anderen Flugplätze sind unter der Aufsicht der Bezirksregierungen Münster und Düsseldorf. Dort müssen sie ihre Konzepte vorlegen und abnehmen lassen.
Luftfahrtexperte: Das reicht alles nicht
Dem Luftfahrtexperten Heinrich Großbongardt, der früher bei der Lufthansa, bei Boeing und bei der Pilotenvereinigung Cockpit gearbeitet hat, gehen die Sicherungsmaßnahmen vieler deutscher Flughäfen nicht weit genug.
Leichtes Ziel für Terroristen?
Luftfahrtexperte Heinrich Großbongardt
Auf dem Vorfeld stünden "Maschinen mit Zehntausenden Litern Kerosin im Bauch und 150, 200 Passagieren an Bord. Da kann man sich leicht vorstellen, dass das für Terroristen ein Ziel wäre". Es wirke grotesk, wenn man einerseits die Passagiere penibel kontrolliere und "ihnen die Zahnpasta, die zu groß ist, wegnimmt", andererseits "alles sperrangelweit offen ist" und der einzige Schutz ein Maschendrahtzaun mit Nato-Draht sei.
Flughafen Köln/Bonn als negatives Beispiel
Als Negativbeispiel nennt er beispielsweise Köln/Bonn: "Der gehört zu den Kandidaten, wo ich sage: Das reicht hinten und vorne nicht aus. Man muss sich vorstellen: Da fliegen auch Frachtmaschinen oder Maschinen der Flugbereitschaft der Bundeswehr."
Positive Beispiele seien dagegen die Flughäfen in Frankfurt, München oder Stuttgart, die eine sehr massive Absicherung hätten. "Die haben einen Doppelzaun, eine umfangreiche elektronische Überwachung und, was man nicht sieht, ein mehrlagig gestaffeltes Schutzsystem." Selbst wenn jemand den Zaun durchbreche, sorge es dafür, dass am besten gar nichts oder nur wenig passiert.
Ein Problem seien sicherlich die Zuständigkeiten. Demnach müssen die Betreiber der Flughäfen ein Sicherheitskonzept erstellen und das wird dann von Landesbehörden genehmigt. "Da entsteht natürlich schon eine Zersplitterung. Es gibt keine einheitlichen Standards der Sicherungsmaßnahmen. Die müssen dringend auf Bundesebene geschaffen werden", sagt Großbongardt. Die Überwachung könne man dann den Ländern überlassen.
Kritik von der Gewerkschaft der Polizei
Auch der stellvertretende Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) fordert mit Nachdruck einen besseren Schutz von Flughäfen. "Es ist nur schwer vermittelbar, dass etwa Weihnachtsmärkte mit Betonbarrikaden gesichert werden, und unsere Flughäfen werden als Hochsicherheitsbereiche von Betreibern stiefmütterlich behandelt", sagte Heiko Teggatz der dpa.
Die Politik unternehme da viel zu wenig. "Da vermisse ich auch eine Initiative von Bundesinnenministerin Nancy Faeser." Offensichtlich zwinge niemand die Flughafenbetreiber ernsthaft, Sicherheitsmaßnahmen so hochzufahren, "dass es zu solchen Vorfällen schlicht nicht mehr kommen kann".
Flughafenverband: "100-prozentiger Schutz unmöglich"
Rückendeckung für die Airports gibt es vom Flughafenverband ADV. Bei großen Flughäfen könnten die Zaunanlagen eine Länge von mehr als 40 Kilometern erreichen. Hinzu kämen Tore und Zugangsanlagen, die an bestimmten Stellen auch aus Sicherheitsgründen - etwa für die Feuerwehr - schnell passierbar sein müssten, teilt der Verband mit. Auch mit Blick auf das Eindringen des 35-Jährigen auf das Vorfeld des Hamburger Flughafens erklärt der Verband: "In diesen Fällen ist ein 100-prozentiger Schutz gegen das Durchdringen mit brachialer Gewalt unmöglich."
Über dieses Thema haben wir auch am 6.11.23 in der "Aktuellen Stunde" im WDR Fernsehen berichtet.
Quellen:
- Nachrichtenagentur dpa
- Eigene Anfragen an die Flughäfen
- Interview mit Heinrich Großbongardt