Mit Standing Ovations wurde der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj im US-Kongress empfangen. Danach hielt er eine Rede, die diesen Applaus nicht abreißen ließ. Als "starkes Signal", "eindrucksvoll" und "historisch" wird Selenskyjs Auftreten in der deutschen Presse beschrieben. Mit welchen Symbolen und Bildern der Präsident das erreicht hat.
Selenskyj zog Parallelen
Die Politikwissenschaftlerin Constanze Stelzenmüller war von der Rede berührt. "Es war eine sehr bewegende Rede. So was sieht man selten", meint die Wissenschaftlerin vom Think Tank Brookings Institution. Die US-Abgeordneten seien offensichtlich bewegt gewesen. Selenskyj selbst sei zwischenzeitlich den Tränen nah gewesen, so Stelzenmüller.
"Selenskyj hat das sehr geschickt gemacht", meint auch ARD-Korrespondentin Kerstin Klein in Washington in Bezug auf den Inhalt. "Er hat zum Beispiel Parallelen zwischen dem Kampf der ukrainischen Soldaten jetzt und dem der amerikanischen Soldaten im Zweiten Weltkrieg gezogen."
Weltweiter Kampf um Demokratie
Selenskyj betonte auch, dass es bei dem Krieg gegen die Ukraine nicht nur um das Schicksal der Ukrainer gehe, sondern um das der freien Welt. "Der Kampf wird definieren, in welcher Welt unsere Kinder und Enkelkinder leben werden, und dann ihre Kinder und Enkelkinder".
Dieser Kampf werde auch bestimmen, ob es eine Demokratie für die Ukrainer und für die Amerikaner geben werde. "Er kann nicht ignoriert werden, in der Hoffnung, dass der Ozean oder etwas anderes Schutz bieten wird", sagte der 44-Jährige weiter.
Selenskyj spricht bei einer gemeinsamen Sitzung des Kongresses in Washington.
Sätze eines Hollywood-Actionhelden
Der ukrainische Präsident erschien vor dem Kongress in militärischer Kleidung, wie er sie seit Kriegsbeginn trägt. "Man hätte sich auch nicht vorstellen können, dass er seine Rede im Anzug hält", sagt Christian Kirchmeier. Der Germanist beschäftigte sich unter anderem damit, wie sich Politiker möglichst authentisch inszenieren. Dem ukrainischen Präsidenten sei es gelungen, eine Einheit zwischen Demokraten und Republikanern herzustellen.
Das sei aber weniger der Rede als solcher geschuldet, so der Wissenschaftler gegenüber dem WDR. "Sätze wie ‚Die Ukraine ist gesund und munter' (alive and kicking) sind Aussagen, die flapsig wirken", sagt er. Sie erinnerten eher an einen Hollywood-Actionhelden.
Allerdings seien die Worte, die Selenskyj gewählt hat, auch nicht so entscheidend gewesen wie der Moment, in dem er vor den US-Kongress getreten ist. "Er kam zu einer Zeit, in der fraglich ist, ob die Unterstützungen für die Ukraine weiterfließen wie bisher."
Hilfe für die Ukraine als Investition
Christian Kirchmeier
In dieser Situation betonte Selenskyj, dass es sich bei der Unterstützung nicht um eine Spende handle, sondern um eine Investition. "Hier spricht er die USA in ihrem Pragmatismus an – damit, dass sich die Investition auszahlen wird."
Auch die Politologin Jana Puglierin hält den Zeitpunkt für Selenskyjs erste Reise seit Kriegsbeginn nicht für Zufall. Zum Jahresende ging es darum "Danke zu sagen", sowohl gegenüber der amerikanischen Politik als auch der Bevölkerung, sagte sie dem WDR. "Es geht darum, Einigkeit zu beschwören und das nach Moskau zu signalisieren." Dort habe man erwartet, dass die Unterstützung im Winter aufgrund der Energiekrise zerbrechen werde.
Flagge mit Unterschriften von Soldaten überreicht
Ein entscheidender Punkt sei die ukrainische Flagge gewesen, die Selenskyj Pelosi überreichte, sagt Forscher Christian Kirchmeier. Die Flagge aus der ostukrainischen Frontstadt Bachmut wurde unterschrieben von dort kämpfenden Soldaten. "Symbol wäre ein zu schwaches Wort dafür", sagt Christian Kirchmeier.
Die Unterschriften der Soldaten würden beglaubigen, wie authentisch diese Fahne ist. "Daher ist es auch wichtig, dass Selenskyj körperlich präsent ist, um sie zu überreichen."
In den USA habe der Akt zudem eine besondere Strahlkraft, da die Amerikaner eine starke Beziehung zu ihrer Flagge haben, die unter anderem in der Nationalhymne besungen wird. Selenskyj erhielt im Gegenzug eine US-Flagge überreicht. Diese sei allerdings fein säuberlich in einer Vitrine gefaltet gewesen. "Sie ist daher wirklich nur ein Symbol – im Gegensatz zur Fahne aus der Ukraine."
Wolodymyr Selenskyj spricht vor einer ukrainischen Flagge, die von Kamala Harris (l) und Nancy Pelosi gehalten wird
Erfahrung im Rampenlicht
Schon zuvor haben die eindringlichen Appelle des Präsidenten an den Westen zu finanzieller Unterstützung geführt. Der ehemalige Schauspieler ist versiert vor der Kamera. Sein Weg ins Präsidentenamt ähnelte dem Drehbuch seiner populären Fernsehserie "Diener des Volkes", in der er einen Geschichtslehrer spielte, der eher zufällig zum Präsidenten gewählt wird.
US-Präsident Joe Biden würdigte den anhaltenden Widerstand der ukrainischen Bevölkerung gegen den russischen Angriffskrieg. Er griff dabei auch auf das Bild der "ewigen Flamme" zurück, die im jüdischen Glauben an den Tagen des Chanukka-Festes entzündet wird. "Auch in den dunkelsten Tagen des Jahres" herrsche "immer Licht", betonte Biden.
Über dieses Thema berichtete der WDR am 22.12.2022 unter anderem auf WDR 5.