Selbstbestimmungsgesetz: Erleichterung und Empörung

Stand: 24.08.2023, 12:26 Uhr

Man fühlt als Frau, doch im Ausweis steht ein Männername. Mit dem neuen Selbstbestimmungsgesetz sollen Transmenschen Geschlecht und Vornamen im Pass leichter ändern können. Das sorgt schon vorab für heftige Diskussion.

Von Nina Magoley

Wenn Felicia Rolletschke auf Reisen an der Grenze ihren Ausweis vorzeigte, gab es regelmäßig Probleme: Darin stand ein Name, "den die Leute nicht mit mir assoziiert haben". Die Diversityberaterin wurde als Junge geboren, fühlt sich aber als Frau. Seit fünf Jahren lebt sie offiziell als Frau - auch auf dem Papier. Doch diese Änderung habe sie zwei lange Jahre und einiges an Geld gekostet, sagt Rolletschke im WDR-Interview.

Mit dem Gesetzentwurf, den das Bundeskabinett am Mittwoch gebilligt hat, soll es künftig für trans- und intergeschlechtliche sowie nicht binäre Menschen deutlich leichter werden, ihren Geschlechtseintrag und Vornamen ändern zu lassen. Ab November 2024 soll dazu eine entsprechende Erklärung beim Standesamt ausreichen.

Was sagen die, die es betrifft?

Viele Menschen hätten sich über das neue Gesetz sehr gefreut, sagte Felicia Rolletschke dem WDR. Das bisherige Gesetz habe "fürchterlich viel Leid verursacht". Auch ihr Leben sei zuvor voller unangenehmer Alltagssituationen gewesen - nicht nur auf Reisen. Mehrmals sei beispielsweise im Geschäft die Polizei gerufen worden, weil man ihr nicht glaubte, dass die Kreditkarte, mit der sie bezahlen wollte, ihre eigene war. Es stand ein Männername darauf.

Es war unglaublich schwer, am öffentlichen Leben teilzunehmen, wenn auf dem Ausweisdokument ein Name steht, den Menschen nicht mit einem verknüpfen. Transfrau Felicia Rolletschke

Die Befürchtung, dass künftig vor allem Jugendliche vorschnell ihr Geschlecht ändern könnten, hält Felicia Rolletschke für unnötig. Junge Menschen könnten das "sehr gut einschätzen" - und selbst, wenn sie es sich später anders überlegen, sei eine Änderung einfach möglich. "Das ist ein total reversibler kleiner Schritt, der es für Transpersonen im Alltag aber so viel einfacher macht, anerkannt zu werden und im öffentlichen Raum zu existieren."

Der Bundesverband Trans kritisiert allerdings die lange Frist bis zum Inkrafttreten des geplanten Selbstbestimmungsgesetzes. Die Betroffenen warteten seit Jahren auf eine niedrigschwellige Änderungsmöglichkeit für den Geschlechtseintrag, sagt Verbandssprecher Kalle Hümpfner. Dass das Gesetz erst ab November 2024 gelten soll, sei "nicht hinnehmbar".

Die Kirchenverbände äußerten sich bislang positiv zu dem Gesetzentwurf. Irme Stetter-Karp, Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken nannte ihn "einen Meilenstein", der einen Schlussstrich unter das über 40 Jahre alte Transsexuellengesetz ziehe, "das dem Grundgesetz nie würdig war". Stetter-Karp forderte "eine sachkundige, ergebnisoffene und kostenlose Beratung insbesondere für Minderjährige".

Das sagen Kritiker

Vor allem aus der CDU kommen Befürchtungen und Warnungen. Die Bundesregierung komme mit dem neuen Gesetz "der Schutzpflicht des Staates nicht nach", sagte CDU-Vize-Generalsekretärin Christina Stumpp - besonders mit Blick auf Jugendliche, die in ihrer Pubertät oft von Persönlichkeits- und Identitätszweifeln geplagt würden. "Junge Menschen brauchen in so gravierenden Fragen Unterstützung und Orientierungshilfe. Diese lässt das geplante Gesetz einfach außen vor." Sorgeberechtigte Eltern wolle das Gesetz "weiter entmündigen", wenn ein Gericht in solchen Fragen Eltern ohne Weiteres überstimmen könne.

CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sprach von einem "Ideologiegesetz der Arroganz-Ampel", und die familienpolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Silvia Breher befürchtet, das Gesetz überlasse "dem Bademeister oder dem Fitnesstrainer, ob eine Transperson in die Frauenumkleide darf".

Für die Antidiskriminierungsbeauftragte der Bundesregierung, Ferda Ataman, sind diese Argumente nicht nachvollziehbar: In Deutschland gebe es überwiegend gemischtgeschlechtliche Saunen, "kein Mann muss seinen Geschlechtseintrag ändern lassen, um in Deutschland eine nackte Frau zu sehen", so Ataman.

Weiterhin gelte das private Hausrecht des Inhabers, darüber zu bestimmen, wer beispielsweise seine Wohnung oder Geschäftsräume betritt.

Das dürfe allerdings nicht willkürlich ausgelegt werden, sagte wiederum der Queerbeauftragte der Bundesregierung, Sven Lehmann: Ein Kneipenbesitzer dürfe einer Transfrau nicht verbieten, die Damentoilette zu benutzen. Andererseits könne sich auch künftig niemand in einem Fitnessstudio "einklagen" bei der Benutzung der Umkleideräume. Er könne sich vorstellen, sagt Lehmann, dass man diesen Passus in der anstehenden Debatte im Bundestag noch klarer formulieren könne.

Feministin und Emma-Herausgeberin Alice Schwarzer hält das Gesetz für "unverantwortlich", vor allem mit Blick auf Jugendliche. Trans zu sein sei besonders unter Mädchen "ein Trend", häufig, "um der Rosa-Tüll-Nummer zu entkommen". Für die "extreme Minderheit" der Transsexuellen, "die auch nicht therapiert werden können" sei eine solche Gesetzesreform gut und richtig. Jugendliche aber seien "im Gendertrouble, da weiß man oft nicht, wer man ist - und später löst sich das dann auf".

Das Bundeskriminalamt hatte zunächst gewarnt, dass straffällige Personen mit dem Gesetz einfach ihren Namen ändern könnten, um einer Strafverfolgung zu entgehen. Um das zu verhindern, sollen zuständige Standesämter die Daten bei den Anträgen an die Meldebehörden weitergeben. Dort werde dann kontrolliert, ob gegen die Person bereits ein Verfahren oder eine Fahndung läuft. Anschließend sollen die Daten direkt wieder gelöscht und nicht gespeichert werden.

Das regelt das Gesetz - und das nicht

  • Jede volljährige Person soll ihre Geschlechtsidentität im Pass frei wählen können und selbst zwischen den Einträgen "männlich", "weiblich", "divers" oder "ohne Angabe" entscheiden. Dafür soll eine "Erklärung mit Eigenversicherung" ausreichen.
  • Es gibt kein Mindestalter, ab wann der Eintrag geändert werden kann. Für Kinder und Jugendliche bis 14 Jahre ist allerdings eine Erklärung der Eltern oder Sorgeberechtigten nötig, danach müssen die Sorgeberechtigten nur noch zustimmen.
  • Die Entscheidung kann dann frühestens nach einem Jahr erneut geändert werden.
  • Die Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornamen muss drei Monate zuvor beim Standesamt angemeldet werden. In dieser Zeit kann die Änderung noch widerrufen werden.
  • Es geht in dem Gesetz nicht um die Frage von körperlichen Angleichungen - wie zum Beispiel durch Hormone oder eine geschlechtsangleichende Operation.

Bislang galt das sogenannte Transsexuellengesetz. Demnach dürfen Betroffene - auch Jugendliche - Vornamen und Geschlecht erst nach einem psychologischen Gutachten und einer gerichtlichen Entscheidung offiziell ändern. Das Verfahren ist langwierig und teuer. Schon mehrfach wurden wichtige Teile des Gesetzes vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt.

Mit Material der Agenturen DPA, KNA und EPD.

Über dieses Thema berichten wir unter anderem im WDR-Hörfunk.