Nach der Bahn-Sabotage: Wie gut ist die kritische Infrastruktur geschützt?

Stand: 09.10.2022, 17:05 Uhr

Wie verwundbar ist die kritische Infrastruktur bei uns? Seit den Lecks an den Gas-Pipelines Nord Stream 1 und 2 wird darüber diskutiert. Und die Sabotage an Kabeln bei der Deutschen Bahn wirft nun neue Fragen auf.

Klar ist mittlerweile: Es gab zwei Tatorte bei der Sabotage gegen die Bahn, an denen wichtige Kabel durchtrennt wurden - einen in Berlin und einen in Herne. Noch völlig unklar ist dagegen, wer dahinter steckt.

Aber wegen des Kriegs in der Ukraine waren zuletzt Warnungen lauter geworden. So hat etwa das Bundeskriminalamt (BKA) laut einem "Spiegel"-Bericht auf die Gefahr von Sabotageakten gegen die kritische Infrastruktur hingewiesen. Hintergrund ist demnach die Beschädigung der Gas-Pipelines Nord Stream 1 und 2 in der Ostsee. Die Problematik habe sich mit dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg verschärft, sagt auch der Grünen-Politiker Konstantin von Notz, Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums für die Geheimdienste im Bundestag.

Zur kritischen Infrastruktur wird neben Energieversorgern und Gesundheitswesen auch die Bahn gezählt. Gemeint sind damit laut Bundesregierung alle "Organisationen oder Einrichtungen mit wichtiger Bedeutung für das staatliche Gemeinwesen, bei deren Ausfall oder Beeinträchtigung nachhaltig wirkende Versorgungsengpässe, erhebliche Störungen der öffentlichen Sicherheit oder andere dramatische Folgen eintreten würden."

Thema seit Russlands Krieg in der Ukraine verstärkt im Blick

Jetzt warnt auch der Bundeswehr-General Carsten Breuer vor möglichen Anschlägen auf die kritische Infrastruktur in Deutschland. "Jede Umspannstation, jedes Kraftwerk, jede Pipeline" könne angegriffen werden und ein mögliches Ziel sein, sagte der Befehlshaber der Bundeswehr der "Bild am Sonntag". Die Bundeswehrführung stelle sich daher "vor allem auf hybride Bedrohungen ein". Dazu zählte der General insbesondere "Einflussnahmen, mit Anschlägen auf Infrastruktur und mit Cyberangriffen oder zum Beispiel Aufklärungsflüge mit Drohnen über Kasernen". Die Sicherheitsbehörden müssten sich auf diese Bedrohungslage einstellen, sagte Breuer.

Grünen-Politiker von Notz kritisiert, dass es beim Schutz der Systeme bei der Bahn "erhebliche Probleme" gebe, auf die seit langem hingewiesen werde. "Zum Teil liegt das daran, dass Zuständigkeiten unklar sind."

Infrastruktur-Experte spricht von "Kompetenzdefizit"

Auch Manuel Atug von der AG KRITIS sieht deutliche Probleme beim Schutz der kritischen Infrastruktur. Ziel seiner Arbeitsgruppe ist es, die Versorgungssicherheit der Bevölkerung zu erhöhen. Im WDR-Interview spricht Atug von "unheimlichen Defiziten" in allen Infrastruktur-Bereichen – von der politischen und gesetzgeberischen Ebene bis zur Umsetzung.

"Sie wird auch immer anfälliger, weil wir sie nicht genug absichern. Und sie wird eben auch anfälliger dadurch, dass wir immer noch ein Kompetenzdefizit haben – und auch ein Verständnisdefizit, kritische Infrastrukturen sicher aufzubauen und sicher zu betreiben." Manuel Atug, AG Kritis

Grüne fordern Gesetzesänderung

Was also tun? Grünen-Chef Omid Nouripour fordert nach der Bahn-Sabotage Verbesserungen beim Schutz der kritischen Infrastruktur. "Nancy Faeser und ihr Innenministerium müssen hier schnellstens einen Gesetzentwurf vorlegen", verlangt der Grünen-Vorsitzende. Er spricht sich auch für eine bessere Ausstattung des Zivil- und Katastrophenschutzes aus, um gut auf Gefahren vorbereitet zu sein. Polizei und Nachrichtendienste müssten zudem verstärkt den Schutz besonders gefährdeter Anlagen in den Blick nehmen, meint Nouripour.

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Bahn: Kein dauerhafter und flächendeckender Schutz des Schienennetzes möglich

Aber lässt sich das in der Praxis tatsächlich umsetzen? Das Schienenetz "dauerhaft flächendeckend zu schützen ist nicht möglich", hatte erst vor einigen Tagen eine Bahn-Sprecherin der Wochenzeitung "Die Zeit" gesagt. Manipulationen an der Technik der Bahn gab es in der Vergangenheit immer wieder.

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Und auch für Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) steht fest: "Die Bahn verfügt über ein großes Netz, weitverzweigt in Deutschland. Klar ist, dass nicht überall jemand präsent sein kann". Im WDR-Interview stellt er jedoch auch klar: "Aber wir haben Sicherheitsmechanismen, die Bahn reagiert sehr schnell, wenn es zu solchen Vorfällen kommt."

Von der Leyen: Müssen uns an Sabotage gewöhnen

Bereits am Freitag hatte EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen betont, Europa müsse auch in Zukunft mit der Sabotage kritischer Infrastruktur rechnen: "Was mit Nord Stream 1 und Nord Stream 2 passiert ist, ist eindeutig die Art von Bedrohungen, an die wir uns gewöhnen, aber noch wichtiger, darauf vorbereitet sein müssen." Die Kommission habe schon einen Fünf-Punkte-Plan vorgelegt – mit Vorschlägen zur Vorsorge, zu Stresstests, zur internationalen Koordinierung und zum Informationsaustausch.

Politik macht Druck

In Deutschland machen Politiker mehrerer Parteien nach der Sabotage bei der Bahn nun Druck: "Die Bahn, der Verkehrsminister und die Sicherheitsbehörden müssen rasch ein Konzept vorlegen, wie wir solche Technik besser sichern können", fordert etwa der SPD-Verkehrspolitiker Müller gegenüber dem "Redaktionsnetzwerk Deutschland". "Bei Neubau und der Sanierung von Strecken muss sie zugriffssicher verlegt werden", so der SPD-Fraktionsvize im Bundestag.

Der parlamentarische Geschäftsführer der Unions-Bundestagsfraktion Thorsten Frei sagte dem "Redaktionsnetzwerk Deutschland", man müsse über die Sicherheitsarchitektur Deutschlands und der EU neu nachdenken.

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Verkehrsminister Wissing: Infrastruktur als Verfassungsziel

Die hohe Sicherheitsrelevanz der Infrastruktur betont auch FDP-Politiker Wissing: "Ich habe vorgeschlagen, die Infrastruktur zu einem Verfassungsziel zu erklären, weil es notwendig ist, dass wir ihr einen höheren Stellenwert einräumen." Sie sei "für uns eine ganz wesentliche Grundlage, um sicher zu leben."

ARD-Terrorismusexperte rät: Tätern nicht in die Karten spielen

Wie aber umgehen mit der Unsicherheit, die mögliche weitere Sabotage-Aktionen bei vielen Menschen erzeugt? ARD-Terrorismusexperte Holger Schmidt sagt im WDR-Interview, es sei vor allem wichtig, sich als Gesellschaft vor Augen zu führen, was denn die Menschen, die kritische Infrastruktur angreifen, eigentlich erreichen wollen. "Die wollen eigentlich erreichen, dass wir unser Sicherheitsgefühl verlieren, dass es ein Klima der Unsicherheit, der Angst und dann entsprechende Reaktionen im Sinne der Angreifer gibt. Also zum Beispiel Empörung, Aufregung, Verunsicherung".

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Schmidt empfiehlt, daraus diesen Schluss zu ziehen: "Je gelassener, ich sage nicht gleichgültig, aber je gelassener wir mit diesen Phänomenen umgehen, umso mehr spielen wir denen nicht in die Karten, die uns verunsichern wollen."

Über dieses Thema berichtet das WDR-Fernsehen unter anderem am 9.10.2022 in der "Aktuellen Stunde".

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