Konfliktzone Straße – an kaum einem besseren Beispiel in NRW kann man dazu so viel erzählen wie an der Rüttenscheider Straße. Eine der belebtesten Straßen in Essen mit vielen Geschäften, Kneipen und Arztpraxen, aber eben auch Wohnviertel.
Viele Interessierte im "Hudson's"
Dass das Thema viele bewegt, zeigte sich schon an der vollen Kneipe "Hudson's" im Giradet-Haus an der Rüttenscheider Straße, in die wir zum Lokalzeit Stadtgespräch eingeladen hatten. An die 100 Menschen waren da: Anwohner, Geschäftsleute, Auto- wie Radfahrer und Fußgänger.
Auf dem Podium begrüßte WDR5-Moderatorin Judith Schulte-Loh den Stadt- und Verkehrsplaner Christian Bexen, der die Stadt Essen bei ihrer Verkehrsplanung auch auf der "Rü" berät. Für die Stadt Essen saß Sprecherin Silke Lenz auf der Bühne.
Emotionale Diskussion beim Essener Stadtgespräch
Anwohner berichteten von zahlreichen täglichen Konflikten zwischen Fußgängern, Rad- und Autofahrern. Eine Zuschauerin, die häufig auf der Straße mit dem Rad unterwegs ist, berichtete über die aus ihrer Sicht rücksichtlosen Autofahrer: "Die ignorieren die Fahradstraßenregelung. Ich werde dort genau so eng überholt, geschnitten und angehupt wie anderswo. So, als sollten wir von der Straße weggefegt werden.“
Autofahrer wiederum fühlten sich zu unrecht angegriffen, verwiesen auf mangelnde Ausweichrouten und hinterfragten das Hin und Her bei der Planung durch die Stadt Essen.
Hintergrund: Fahrradstraße nach Klage der Umwelthilfe

Fahrradfahrer haben auf der Rü Vorfahrt
Seit 2020 ist die "Rü" offiziell eine Fahrradstraße. Fahrräder haben Vorrang vor Autos, Höchstgeschwindigkeit ist 30. Eine Regelung, die die Stadt Essen vor allem eingeführt hatte, weil sie nach erfolgreichen Klagen der Umwelthilfe für eine bessere Luftqualität sorgen musste.
Die Maßnahmen wollte die Stadt noch verschärfen und die Straße mit Einbahnstraßenregelungen für Autos weiter beruhigen. Doch Einzelhändler und ansässige Firmen klagten erfolgreich dagegen. Die Stadt musste die neuen Maßnahmen zum Großteil wieder zurücknehmen.
Stadtsprecherin: Mit vielen Experten gesprochen
Silke Lenz verteidigte die Planung: "Es war ein langer Prozess, wir hatten insgesamt 16 Planungsvarianten und es wurde mit vielen Experten gesprochen.“

Viele Wortmeldungen bei Co-Moderator Olaf Biernat im Publikum
Dass mit Blick auf Einschränkungen für Autofahrer zu wenig die Sicht der Geschäftsleute an der "Rü" berücksichtigt wurde, kritisierten diese im Publikum immer wieder am Mikro von Co-Moderator Olaf Biernat. Rolf Krane von der Interessengemeinschaft Rüttenscheid betonte: "Die Geschäfte möchten ihre Kunden behalten."
Und er warf noch etwas ins Feld: "Wir haben hier fast 100 Arztpraxen. Viele alte Patienten müssen einfach mit dem Auto kommen.“
Gerichtsentscheidung als Wegweiser für Verkehrsgestaltung?

Verkehrsplaner Christian Bexen
"Es ist die Quadratur des Kreises, die wir hier angegangen sind", räumt Verkehrsplaner Christian Bexen ein und zeigte Verständnis für alle Interessensgruppen. Es brauche einfach Zeit, sagte er und verwies auf ein Positiv-Beispiel in Stuttgart, wo es gelungen sei, Fußgänger wie Rad- und Autofahrer zufrieden zu stellen. "Es hat zehn Jahre gedauert, bis die Leute es akzeptiert haben. Bei solchen Lösungen braucht es einfach einen langen Atem.“

Die Essener Stadtsprecherin Silke Lenz
Nach diversen Klagen soll das Oberverwaltungsgericht bald über eine möglicherweise entgültige Lösung für die Rüttenscheider Straße entscheiden. Stadtsprecherin Lenz dazu: "Die Gerichtsentscheidung kann auch zeigen, welche Gestaltungsmöglichkeiten eine Stadt überhaupt hat.“ Eine Fahrradstraße werde die "Rü" aber auf jeden Fall bleiben.
Malte Gehring von der IHK Essen lobte am Ende des Abends, dass überhaupt alle ins Gespräch kamen: "Wir selbst als IHK sind bei dem Thema gar nicht dogmatisch. Für uns ist ein zentraler Punkt die Erreichbarkeit der Gewerbetreibenden. Und die muss gewährleistet werden."
Zuschauer fordern mehr Konstruktivität
Einen konstruktiven Blick wagen auch andere. "Vielleicht müssen wir uns einfach angewöhnen, nur dann mit dem Auto auf die Rü zu fahren, wenn wir es wirklich müssen", so eine Anwohner. Ein Zuschauer ergänzte dazu: "Wir brauchen eine konstruktive Beteiligung am Prozess und kein Zermetzeln und Zermeckern."
Unsere Quellen:
- Reporter vor Ort
- IHK Essen
- Interessensgemeinschaft Rüttenscheid
- Stadt Essen
- ADFC Essen