Gefahr durch rechtsextreme Graue Wölfe

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Gefahr durch rechtsextreme Graue Wölfe

Stand: 18.09.2023, 18:03 Uhr

Die rechtsextreme türkische Ülkücü-Bewegung tritt immer offensiver auf. Nach WDR-Recherchen liegt ein Schwerpunkt der verfassungsfeindlichen Bewegung in NRW im östlichen Ruhrgebiet. Vor allem die Ortsgruppe in Lünen fällt immer wieder auf.

Von Christof Voigt

Die türkischen Rechtsextremisten gedenken etwa in Facebook-Gruppen ultrarechter Mörder und denken über einen Boykott der europäischen Wirtschaft nach. Angeblich grenzten die deutsche Gesellschaft und Politik türkischstämmige Menschen aus. Türken würden in Deutschland verachtet und unterdrückt.

Besuch bei der „Lünen ÜLKÜ Ocaği“

In Lünen zeigen sich die türkischen Rechtsextremisten ganz offen. Fast täglich sind Mitglieder der Ortsgruppe „Lünen ÜLKÜ Ocaği“, also Anhänger der verfassungsfeindlichen Ülkücü-Bewegung, in ihren Räumen in der Nähe der Lüner Innenstadt. Sie schauen dort gemeinsam Fußball, veranstalten Kulturabende oder halten dort Konferenzen ab.

Fragen nur schriftlich

Der in der Region gut vernetzte Kopf der Gruppe ist Bahattin A. aus Hamm. Bei unserer Recherche vor Ort lehnt er ein Interview ab, er möchte die Fragen erst schriftlich haben, damit er sich vorbereiten könne. Zwei Tage später will er dem WDR, den er ein „altes linkes Fernsehen“ nennt, dann ein Interview geben.

Wer ist der Bahattin A.?

Bahattin A. lebt in Hamm. Und hat die rechtsextreme Ülkücü-Bewegung dort nach eigenen Angaben mit aufgebaut. Das mache er jetzt seit einigen Jahren in Lünen, weil es eine Lücke gegeben habe, erzählt er noch im ersten Gespräch. In Lünen gibt er seine rechtsextreme Ideologie auch an Kinder und Jugendliche weiter. Auf vielen Fotos, die er veröffentlicht, zeigen er und andere immer wieder den Wolfsgruß, das Zeichen der Ülkücü-Bewegung beziehungsweise der Grauen Wölfe. Auch Kinder und Jugendliche sind auf diesen Fotos zu sehen, auch sie zeigen das Erkennungszeichen der Rechtsextremisten. 

Die Gefahr nicht unterschätzen

Die Ülkücü-Bewegung ist eine der größten rechtsextremen Gruppen in Deutschland. Und sie wachse derzeit schnell, sagt Professor Kemal Bozay aus Köln. Zwar gebe es die Grauen Wölfe schon seit den 1970er Jahren in Nordrhein-Westfalen, sie seien aber innerhalb der türkischstämmigen Community lange Zeit relativ isoliert gewesen. Das habe sich nun geändert, weil die rechtsextreme Mutterpartei dieser Bewegung, die Milliyetçi Hareket Partisi (Partei der Nationalistischen Bewegung), in der Türkei mittlerweile die wichtigste Unterstützerpartei der regierenden AKP des türkischen Präsidenten Erdogan sei.

Und diesen gestiegenen Einfluss der Rechtsextremen spüre man nun auch in NRW. Für den Zusammenhalt einer Gesellschaft sei das schlecht, sagt Professor Kemal Bozay:

Viele Feindbilder

„Da spielen Feindbilder eine wichtige Rolle, Feindbild Aleviten, Feindbilder Kurdinnen, Armenierinnen, Jesidinnen, Christinnen, also es gibt Feindbilder, die gesellschaftlich reproduziert werden, auch judenfeindliche und antisemitische Einstellungsmuster spielen da eine wichtige Rolle, auch homophobe Einstellungsmuster.“ Kemal Bozay

Bozay warnt ausdrücklich davor, die Gefahr durch diese Gruppe und deren Spaltungspotenzial zu unterschätzen. Viele Kommunen und Städte würden immer noch zu blauäugig mit den türkischen Rechtsextremisten umgehen. Ein Schwerpunkt der Bewegung liege im Ruhrgebiet, neben Lünen auch in Hamm und Dortmund. Dort würden die Rechtsextremisten über offensiver versuchen in der Mitte der Gesellschaft anzukommen.   

Graue Wölfe: Türken werden ausgebeutet und unterdrückt  

Auch die Ülkücü-Gruppe in Lünen und Bahattin A. schüren Hass und Mistrauen. Auf seiner Facebook-Seite etwa wirft Bahattin A. der deutschen Gesellschaft Hetze gegen Türken vor:  „Sie sagen nicht, wie die Bürokratie, die Politik, die Presse, die Wirtschaft, die Gesellschaft die Türken ausgrenzt, verachtet, ermüdet, unterdrückt, ausbeutet, behindert, terrorisiert!“ In einem anderen Kommentar schreibt er zur jüngsten Koranverbrennung in Schweden: „Es gibt schätzungsweise 15 Millionen Muslime in Europa, und sie sind in irgendeiner Weise organisiert. Was nicht verstanden wird, ist, dass Zehntausende von Textilien, Möbeln, Autos usw. in diesen Ländern gekauft und verkauft werden. Niemand denkt an einen Boykott. Die Europäer sind am empfindlichsten, wenn sie wirtschaftlichen Schaden erleiden!“

Huldigung für Mörder auf FB

Am 13.08.2023 huldigt die „Lünen ÜLKÜ Ocaği“ auf Facebook dem militanten türkischen Nationalisten Ali Bülent Orkan. Einem der Haupttäter eines Massakers in der Türkei, bei dem am 16. Mai 1979 sieben Menschen in einem Café ermordet wurden. Orkan wurde dafür später vor Gericht gestellt, zum Tode verurteilt und am 13. August 1982 in Ankara hingerichtet.

Welche Verbindungen haben die Rechtsextremen zur SG Gahmen?

Die Ülkücü-Bewegung versuche auch über Einfluss in Sportvereinen gesellschaftlichen Anschluss zu finden, sagt Professor Bozay, der die Szene schon seit Jahren beobachtet und die Entwicklung analysiert. In Lünen macht sie das nach WDR-Recherchen bei der SG Gahmen. Immer wieder postet Bahattin A. Bilder von sich und anderen Grauen Wölfen auf der Anlage des Fußballvereins. Auch hier wird öffentlich der Wolfsgruß gezeigt, der Verein von den Rechtsextremisten offensichtlich als Bühne benutzt.

Fußballturnier veranstaltet

Vor einem Jahr haben die Lüner Rechtsextremisten sogar ein mehrtägiges Fußballturnier bei der SG Gahmen veranstaltet, inklusive Wolfsgruß unterm Vereinslogo und bei der Pokalübergabe. Trotzdem antwortet uns ein Vorstandsmitglied des Vereins schriftlich: „Ich habe gerade mit unserem 1. Vorsitzenden, Herrn Ibrahim Ünal, gesprochen. Er sagte mir, dass es sich um einen Zuschauer handelt, der ab und an mal bei uns auf der Anlage ist, um Fußball zu schauen. Die SG Gahmen hat keinerlei Kontakt zu dieser von Ihnen beschriebenen Organisation.“

Wie geht die Stadt Lünen mit den Rechtsextremisten um?

Der Bürgermeister der Stadt Lünen, Jürgen Kleine-Frauns (parteilos), möchte dazu kein Interview geben. Die Verwaltung müsse neutral bleiben, heißt es in einem ersten Gespräch mit dem Pressesprecher der Stadt Lünen, Daniel Claeßen. Im Interview erklärt der Pressesprecher dann: „Wir können das nicht bewerten, das machen wir bei politischen Parteien schließlich auch nicht. Dafür sind wir nicht zuständig, das obliegt der Polizei und dem Verfassungsschutz.“

Stadt hat die Bewegung im Blick

Auf Nachfrage, dass es sich da aber nicht um eine politische Partei, sondern um eine eindeutig rechtsextremistische Bewegung handle, sagt Claeßen: „Das haben wir natürlich zur Kenntnis genommen. Uns ist die Bewegung auch bekannt, als solche.“ Sollte es Unsicherheit im Umgang mit den Rechtsextremisten geben, könne sich jeder, auch ein Verein, an die Stadtverwaltung wenden, so Claeßen: „An das Bürgerbüro, an das Bürgermeisterbüro, wir sind hier bereit zu helfen und zu unterstützen, da wo das nötig ist und wo es auch in unserem Aufgabenbereich liegt.“

Schriftlich teilt die Stadt noch mit, dass im Falle von „extremistischen oder verfassungsfeindlichen Handlungen oder Äußerungen“ jeder Bürger und jede Bürgerin dazu aufgerufen sei „dem aktiv entgegenzutreten und ggf. die Polizei zu informieren."

Verfassungsschutz: Bewegung richtet sich gegen das friedliche Zusammenleben

Nach einer aktuellen Einschätzung des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes gibt es in NRW „rund 70 Ülkücü-Vereine“. Neben den Ortsgruppen gebe es auch eine „nicht vereinsgebundene Szene“. Für NRW sei bei der „Ülkücü Bewegung von einem Personenpotenzial von insgesamt 3.700 Personen auszugehen.“

Die regionalen Schwerpunkte liegen nach Angaben der Behörde neben dem Ruhrgebiet in Aachen, Westfalen, Köln und Düsseldorf. Der aktuelle Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen (2022) nennt als ein wesentliches Ziel der Bewegung „die Mobilisierung – durch nach Außen kommunizierte Verfassungstreue – von Personen aus der politischen Mitte der türkeistämmigen und türkischen Community in NRW.“

Auch darüber hätte sich der WDR gerne mit dem Kopf der Bewegung in Lünen, Herrn A., unterhalten. Das zunächst zugesagte Interview hat er aber abgesagt. Er habe seine Meinung auf Facebook geäußert, dazu stehe er.

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