Straßenschild "Kardinal-Hengsbach-Platz" vor dem Essener Dom

Fall Hengsbach: Bistum Essen informierte Wissenschaftler nicht

Stand: 29.09.2023, 19:44 Uhr

Hielt das Bistum Essen Anschuldigungen Betroffener gegen Kardinal Hengsbach zurück, als es Wissenschaftlern Zugang zu Akten und Fakten in Sachen Missbrauch verschaffte? Autoren der jüngsten Studie zum Thema geben sich dem WDR gegenüber entspannt.

Von Carmen Krafft und Florian Breitmeier

Hat Bischof Overbeck im Zusammenhang mit der eigenen, jüngsten Missbrauchsstudie vom Februar 2023 Wissenschaftler getäuscht oder zumindest wichtige Anschuldigungen gegen Kardinal Hengsbach unterschlagen? Diese Frage steht im Raum.

Vorwurf nicht erwähnt

Nach NDR Recherchen hat ein Forscherteam des Münchener Instituts IPP im März 2022 einen Hinweis auf Missbrauchsvorwürfe gegen den verstorbenen Kardinal Franz Hengsbach gefunden. In ihrer Studie - erst zu Jahresanfang veröffentlicht - hatten die Forscher die Anschuldigungen aber nicht erwähnt.
So blieb in der Öffentlichkeit noch in diesem Jahr das Bild eines integeren Ruhrbischofs erhalten. Die vom Bistum Essen beauftragten Forscher erklären die Lücke in ihrer Studie heute so: Die betroffene Person habe den Vorwurf gegen den Kardinal ja selbst bereits 2014 zurückgenommen.

Franz Hengsbach, Bischof von Essen

Franz Hengsbach, Bischof von Essen

Die Münchener Wissenschaftler hatten aber beim Bistum Essen weiter nachgehakt: Gibt es andere Vorwürfe gegen den 1991 verstorbenen Bischof Hengsbach? Dies hatte die Essener Diözese verneint. Eine falsche Information. Denn es gab mindestens einen weiteren, erheblichen Missbrauchs-Vorwurf.

Fall zu den Akten gelegt

Bischof Overbeck war seit Jahren tatsächlich bekannt, dass der spätere Kardinal einer damals 16-Jährigen sexuelle Gewalt angetan haben soll. Er hatte sich vor einer Woche dafür entschuldigt, diesen Vorwurf zu den Akten gelegt zu haben. Rom hatte die Sache als nicht glaubwürdig bewertet.
Die Münchener Wissenschaftler wollen dem Bistum wegen fehlender Daten zu Kardinal Hengsbach aber weder einen Vorwurf machen noch sehen sie ihre eigene Studie als fehlerhaft an. „Uns werden so häufig Informationen vorenthalten“, kommentiert Dr. Peter Caspari vom IPP Forscherteam lakonisch die Aufarbeitungs-Arbeit von Bistümern.

Vorwurf schlecht vergessen?

Was Außenstehende wundert - angesichts der Brisanz der weltweit ersten konkreten Vorwürfe gegen einen Kardinal - sieht Caspari entspannt. „Vielleicht hat Bischof Overbeck den Missbrauchs-Vorwurf schlicht vergessen, vielleicht hielt er ihn im Zusammenhang mit unserer Studie für nicht wichtig.“

Der Autor schließt aber nicht aus, dass der Vorwurf gegen den früheren Ruhrbischof unterschlagen wurde. „Alles ist möglich - aber über die Motive des Bistums möchte ich mir kein Urteil erlauben“, sagt der Psychologe auf WDR Anfrage.

Weitere Hinweise fehlen

Eines räumt Peter Caspari allerdings ein: In den Akten gebe es viele Hinweise darauf, dass Kardinal Hengsbach andere Priester als Täter deckte. In der Missbrauchs-Studie des Münchner IPP Instituts ist davon allerdings nichts zu lesen.