Günther Lummerich auf seinem Aussichtspunkt

Sprengung der Haarbachtalbrücke: "So etwas werde ich nicht mehr erleben!"

Stand: 30.01.2024, 16:20 Uhr

Ein ohrenbetäubender Knall, eine Rauchwolke, und dann liegt sie da. Nach nur wenigen Sekunden ist von der maroden Autobahnbrücke über dem Haarbachtal in Aachen an der A544 nichts mehr zu sehen. Für Günter Lummerich ein einmaliger Tag.

Von Anke Capellmann

Schon seit zwei Stunden steht Günter Lummerich aus Alsdorf auf dem großen Feld, nur 400 Meter weit entfernt von der Haarbachtalbrücke. Er trägt einen Rucksack auf dem Rücken, darin seine Kamera, mit der er die Brückensprengung festhalten will. Das Stativ steht schon. Er ist aufgeregt. Bis zur Sprengung dauert es noch. Aber er wollte extra früh da sein, um einen guten Platz mit bestem Blick auf die Brücke zu bekommen.

Seine Großeltern haben damals nur ein paar Straßen weiter gewohnt. Vor 65 Jahren - da war er gerade neun Jahre alt - sind sie einmal gemeinsam über die Brücke spaziert. Es war ein sonniger Tag. Die Brücke stand gerade mal ein paar Jahre - und an diesem Sonntag war sie kurzzeitig für den Verkehr gesperrt. "Da haben wir dann einen Spaziergang gemacht. Von da bis ganz nach dahinten", sagt er und zeigt von der einen Seite zur anderen.

"Meiner Oma taten danach die Füße weh." Er lacht. Für ihn ist es selbstverständlich, dass er sich die Sprengung heute anschaut. "So was werde ich nicht mehr erleben", sagt er. Bisher habe er sowas nur im Fernsehen gesehen.

Lummerich: "Die musste schon lange weg"

Es sind erst wenige Schaulustige da. Die große Menschenmenge wird noch kommen. Günter Lummerich ist mit dem Auto hier. Er hat bei Bekannten in der Einfahrt geparkt, ein wenig die Straße runter. Die Sprengung würde er zwar lieber von der anderen Seite aus sehen, als vom Feld an der Haarener Gracht, "aber das geht leider nicht. Da ist alles zugewachsen, zu viele Bäume. Hier hat man einen freien Blick", sagt er.

Ob er ein bisschen wehleidig ist, dass die Brücke jetzt gesprengt wird? "Überhaupt nicht. Die musste schon längst weg." Dass die Brücke weg muss, steht schon seit Jahren fest. Sie macht seit ihrem Bau Probleme, ist mit den Jahren immer maroder geworden. Dabei ist sie als Teil der A544 und als Strecke zwischen der Anschlussstelle Würselen und dem Aachener Europaplatz eine der wichtigsten Achsen für Pendler nach Aachen oder Köln.

Seit Mitte Januar komplett gesperrt

Zuletzt war die Haarbachtalbrücke erst nur noch einspurig befahrbar. Alle drei Monate musste die Statik des Bauwerks überprüft werden. Seit Mitte Januar ist sie komplett für den Verkehr gesperrt. Und jetzt, zwei Wochen später, steht die große Sprengung an. Das "Platz machen" für den Brücken-Neubau, der hierherkommen soll.

Platz ist im Moment – rund zwei Stunden vor der Sprengung – hier am Straßenrand noch genug. Immer wieder kommen Menschen vorbei, fragen bei den Mitarbeitern der zuständigen Autobahn GmbH nach, bis wie viel Uhr sie noch Zugang zum Bereich haben. Die Sprengung will hier niemand verpassen.

So auch Hubert Hendricks. Er wohnt gleich die Straße runter. Später möchte er sich die Sprengung mit seinen Nachbarn anschauen. "Das ist schon sehr interessant. Auf der anderen Seite müssen wir hier dann natürlich mit noch mehr Durchgangsverkehr rechnen", sagt er. Er zuckt mit den Schultern, dann geht er nochmal zurück zu seinem Haus. Bis 13 Uhr ist ja noch etwas Zeit.

Frei genommen für die Sprengung

Langsam füllt sich die Haarener Gracht. Eric Bosse aus Stolberg hat sich einen guten Platz gesichert, direkt am Feldrand. Er sitzt in seinem Campingstuhl. Aus seiner Thermoskanne duftet es. Früchte-Tee hat er sich mitgebracht. "Es ist ja kalt heute bei dem Wind. Und wenn man dann hier wartet und sitzt, ist so ein Tee schon toll", sagt er. Für die Sprengung heute hat er extra frei genommen. So wie die meisten hier.

Viele von ihnen kommen direkt aus Aachen und der Umgebung, haben sich Urlaub genommen. Damit die Sprengung sicher abläuft, sind die acht Betonstützen mit Vliesen und Drahtseilen umwickelt. So sollen keine Teile unkontrolliert umherfliegen.

240 Kilogramm Sprengstoff

Die Sprengsätze sitzen in den Betonstützen. Rund 240 Kilogramm Sprengstoff wird der Sprengmeister gleich zünden. Dann soll die rund 2900 Tonnen schwere Brücke in sich zusammensacken. Wenn alles glatt läuft, liegt sie nach der Sprengung unten im Haarbachtal.

Man sieht sieben Personen der jungen Landwirte auf einer Bierbank sitzen, im Hintergrund hat jemand eine Fotokamera auf einem Stativ befestigt

Die jungen Landwirte

Eine Gruppe junger Landwirte opfert heute ihre Pause für die Brückensprengung. Gleich zwei Bierbänke haben sich die Jungs mitgebracht. Und auch wenn Wiesen und Felder nicht so viel mit Brückensprengungen zu tun haben: "Wir interessieren uns ja trotzdem für Technik. Und da war es für uns klar, dass wir unsere Pause heute für die Sprengung nutzen", sagt Paul Tellmann, einer der jungen Landwirte. Und auch sie hoffen, dass es später ordentlich Rumms macht – und hoffentlich einen lauten Knall gibt.

Je näher die Sprengung rückt, desto voller wird es. Der Geräuschpegel steigt, Erwachsene und Kinder reden wild durcheinander. Es sind sogar mehrere Grundschulklassen mit ihren Klassenlehrern gekommen. Die Sprengung haben sie vorher im Unterricht durchgenommen.

Brücke fällt in Sekunden

Staubwolken von einer Explosion.

Die Haarbachtalbrücke fiel in einer Sekunde in sich zusammen.

Dann geht alles ganz schnell. Ein kurzes Aufblitzen, nicht mal eine Sekunde lang. Der Sprengstoff ist gezündet. Es folgt ein ohrenbetäubender Knall, die Vibration geht bis in die Lungen. Lautes Gejohle, Freude, Jubel. Dann Applaus. Auf diesen Moment haben die Menschen hier gewartet. Und jetzt sackt die Brücke innerhalb weniger Sekunden in sich zusammen.

Eine Rauchwolke breitet sich aus, bis man kaum noch etwas sieht in der Ferne. Als der Rauch sich kurz danach lichtet, ist die Brücke einfach weg. Ein großes Loch, da wo vorher noch 2900 Tonnen Stahl, Beton und Asphalt gestanden haben.

"Das hat sich echt gelohnt"

Günter Lummerich ist begeistert. Seine Erwartungen von der Sprengung wurden erfüllt. Er hat alles gefilmt und fotografiert. "Das hat sich echt gelohnt, hier so lange zu warten", sagt er. Den Knall fand er super. "Das war sicherlich meine erste und auch meine letzte Sprengung, die ich so miterlebe." Jetzt geht es nach Hause, der Wind treibt ihm ein paar Tränen in die Augen.

Quelle: Reporterin vor Ort

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