Prozess um Messer-Attacke an Wuppertaler Gymnasium gestartet

Lokalzeit Bergisches Land 21.08.2024 03:12 Min. Verfügbar bis 21.08.2026 WDR Von Rüdiger Knössl

Prozess um Messer-Attacke an Wuppertaler Gymnasium gestartet

Stand: 21.08.2024, 21:10 Uhr

Ein halbes Jahr nach der Messer-Attacke an einem Wuppertaler Gymnasium hat der Prozess gegen einen 17-Jährigen begonnen.

Von Wolfram Lumpe und Julian Nothen

Seit Mittwochmorgen muss sich der angeklagte Schüler vor dem Landgericht Wuppertal verantworten. Er soll im Februar dieses Jahres vier Mitschüler des Wilhelm-Dörpfeld-Gymnasiums mit einem Messer angegriffen haben.

Landgerichtssprecherin Dr. Helena Salamon-Limberg

Landgerichtssprecherin Dr. Helena Salamon-Limberg bei Prozessbeginn

"Die Mitschüler sollen zu diesem Zeitpunkt von dem Angriff völlig überrascht gewesen sein und deshalb auch nur eingeschränkt in der Lage gewesen sein, sich zu verteidigen. Weshalb die Staatsanwaltschaft hier Anklage wegen vierfachen versuchten Mordes erhoben hat - jeweils in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung", so die Gerichtssprecherin Dr. Helena Salamon-Limberg.

Durch Messerstiche gegen sich selbst soll der 17-Jährige anschließend schwere Verletzungen davongetragen haben. Jetzt seien der Beschuldigte und seine Familie froh, dass der Prozess begonnen habe, sagte Strafverteidiger Mustafa Kaplan. Er vertritt den 17-Jährigen Wuppertaler.

Versuchter Mord oder gefährliche Körperverletzung?

Bei dem Prozess wird es vor allem um den Straftatbestand gehen. Im Gegensatz zur Staatsanwaltschaft plädiert der Verteidiger auf gefährliche Körperverletzung.

Strafverteidiger Mustafa Kaplan vor Prozessbeginn

Strafverteidiger Mustafa Kaplan am Mittwoch vor dem Wuppertaler Landgericht

Dass mein Mandant die vier Opfer angegriffen hat, das stand ja nie zur Debatte. Es war ja von Anfang an klar, dass er das gemacht hat und das hat er auch so kommuniziert. Es ist eine rechtliche Auseinandersetzung, ob wir hier von versuchtem Mord oder aber von gefährlicher Körperverletzung sprechen.

Was war passiert?

Eine Schule im Ausnahmezustand: Der Amokalarm kommt im Februar aus dem Nichts, mitten in den laufenden Unterricht hinein. Hunderte Polizisten und schwer bewaffnete Spezialeinsatzkräfte riegeln das Gymnasium phasenweise komplett ab. Zunächst wird nicht ausgeschlossen, dass es mehrere Täter geben könnte.

Messerangriff an Wuppertaler Schule

Aktuelle Stunde 22.02.2024 UT Verfügbar bis 22.02.2026 WDR Von Wolfram Lumpe

"Zutiefst verunsichert"

Währenddessen, so schildert es Schulleiterin Claudia Schweizer-Motte kurz nach der Tat, habe sie den mutmaßlichen Täter in einem Raum auf der vierten Etage im Arm eines Kollegen gesehen. "Ich hatte von Anfang an Mitleid mit ihm. Der Kollege hielt einen zutiefst verunsicherten, weinenden Schüler im Arm."

Immer wieder war zu hören, er sei zur Tatzeit in einem "psychischen Ausnahmezustand" gewesen. Schweizer-Motte selbst hatte das blutverschmierte Messer an sich genommen und den Polizisten übergeben. In den Tagen danach fand kein Unterricht statt, 30 Psychologen und Seelsorger betreuten Schüler und Lehrer.

Unterstützung für den mutmaßlichen Täter

Die vier Angegriffenen der Messer-Attacke konnten schon am nächsten Tag wieder in die Schule gehen. Dort war die Stimmung dem mutmaßlichen Täter gegenüber von Anfang an zugewandt und regelrecht verständnisvoll. So war der Schülersprecherin wichtig, von einem "Mitschüler" und nicht von einem "Täter" zu sprechen. Anlässlich des Prozessbeginns sagte die Schulleiterin Claudia Schweizer-Motte, dass die Schüler die Geschehnisse unterschiedlich aufgearbeitet hätten. Für einige sei es bereits Vergangenheit, andere seien noch immer in Behandlung.

Eine Rückkehr des 17-Jährigen an die Schule kann sich Schweizer-Motte derzeit aber nicht vorstellen: "Ich glaube, was man schon klar sagen kann: da hat jemand was gemacht, was unsere Gemeinschaft massiv beeinträchtigt hat, was uns verstört und beschäftigt hat und was in unserem Wertekonzept absolut nicht geht. Und da muss es eine Konsequenz geben. Wie die ausfällt ist Sache der Menschen, die sich da professionell mit befassen." Sie beschäftigt der Messerangriff noch immer - ebenso wie viele Lehrerkollegen. Dabei stellen sie sich immer wieder die Frage, ob der Angriff hätte verhindert werden können.

Schulleiterin Claudia Schweizer-Motte

Schulleiterin Claudia Schweizer-Motte

Schweizer-Motte: "Für mich persönlich bleibt – was auch vom schulpsychologischen Dienst gesagt worden ist: Egal was wir gemacht hätten, sie hätten das nicht absehen können. Solche Sachen; wenn die nicht hier passiert wären, wären die in einem Einkaufszentrum passiert oder in einer Zahnarztpraxis oder so. Der Grund liegt in der Person."

Zwei psychiatrische Gutachten

Die Staatsanwaltschaft hörte die Aussagen von über 50 Zeugen und erhebte nach nur zwei Monaten Anklage gegen den 17-Jährigen. Bis heute sitzt er in Untersuchungshaft und schweigt zu den Vorwürfen. Sein Verteidiger Mustafa Kaplan lehnte eine Untersuchung durch einen vom Gericht bestellten Psychiater ab:

"Als das erfolgen sollte, da war mein Mandant schwer verletzt. Er war gefesselt im Krankenhaus in Wuppertal und sollte dann begutachtet werden. Und er war mit anderen Sachen beschäftigt. Er war mit seiner Gesundheit beschäftigt. Er hatte gerade seine Mitschüler angegriffen und in so einer Situation jemanden psychiatrisch begutachten zu lassen, ist keine gute Wahl, keine gute Entscheidung", so der Verteidiger vor Prozessbeginn. Er ließ ein eigenes Gutachten anfertigen.

Das Landgericht Wuppertal

Das Landgericht Wuppertal

Die Aussagen der Sachverständigen dürften im Prozess eine entscheidende Rolle spielen. Denn zum Zustand des Angeklagten zur Tatzeit ist nichts bekannt - wie auch zu einem möglichen Motiv. Da er unter 18 Jahre alt ist, muss er sich hinter verschlossenen Türen verantworten. Bis Anfang Oktober hat das Landgericht Wuppertal zehn Verhandlungstage angesetzt.

Unsere Quellen:

  • Verteidiger Mustafa Kaplan
  • Landgericht Wuppertal
  • Staatsanwaltschaft Wuppertal
  • WDR Reporter vor Ort

Prozess um Messer-Attacke an Wuppertaler Gymnasium beginnt

WDR Studios NRW 21.08.2024 00:53 Min. Verfügbar bis 21.08.2026 WDR Online


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