Jacqueline Lawin ist nach sechs Jahren als Lehrerin ausgestiegen

Lehrerin steigt aus: Brautkleider statt Einmaleins

Stand: 25.04.2023, 13:45 Uhr

Jacqueline Lawin war voller Ideale, als sie nach dem Studium der Primarstufe ins Referendariat startete. Nach sechs Jahren an mehreren Grundschulen ist sie ausgestiegen. Heute ist sie Inhaberin eines Second-Hand-Brautmodengeschäfts und glücklich.

Von Petra Dierks

Wenn sie die alten Fotos ansieht, zieht sich ihr immer noch der Magen zusammen. Jacqueline Lawin vermisst die Kinder, "ihre" Kinder. Sie hat gerne als Lehrerin gearbeitet. Das System aber, sagt sie heute, hat ihr die Freude genommen.

"Ich habe mit einer falschen Vorstellung von dem Beruf studiert", sagt sie heute. Kindern etwas beibringen. Beziehungen aufbauen. Sie formen und unterstützen und jedes Kind auf seinem Weg begleiten - das wollte sie. Aber was sie erlebt hat, war: Funktionieren. Lehrplan einhalten.

Studium bereitet nicht auf die Realität vor

Eigentlich hat sie Mathematik und katholische Religion studiert. Unterrichten musste sie aber auch andere Fächer, wie Musik. "Viele im Kollegium haben fachfremd unterrichtet, weil es keine Lehrkräfte für die Fächer gab." Das Wissen habe sie sich dann bei Kolleginnen und im Internet zusammengesucht.

Und ihre Fächer? "Vieles von dem, was ich im Studium gelernt habe, konnte ich an der Grundschule gar nicht anwenden, das ist für die Grundschule viel zu komplex."

Jacqueline Lawin ist nach sechs Jahren als Lehrerin ausgestiegen

Jacqueline Lawin ist nach sechs Jahren als Lehrerin ausgestiegen

Was sie vorher gern gewusst hätte: "Man hat gar nicht die Zeit, sich mit den einzelnen Kindern zu beschäftigen. Man ist froh, wenn man überhaupt unterrichten kann", sagt sie und erzählt, wie sie immer wieder mit Kindern umgehen musste, die den Unterricht durch Stören komplett gesprengt haben oder gewalttätig wurden. Unterstützung - Fehlanzeige."Wer denn? Wir waren ja immer viel zu wenige im Kollegium."

Unterstützung zu wenig, Aufgaben zu viel

Eine Schulsozialarbeiterin für 300 Kinder - auch das reicht nicht aus, sagt sie. Sonderpädagogen - musste man sich mit anderen Schulen teilen. An ihrer Grundschule fehlte außerdem die Schulleitung, die sonst sehr viel Organisatorisches übernommen hätte. Auch sei der Lehrplan sehr starr und wenig auf die Bedürfnisse der Kinder ausgerichtet.

Der Beruf werde nach wie vor auch von außen nicht ernst genommen. "Viele glauben, das sei alles ganz niedlich und nett mit den kleinen Kindern ist und auch nicht besonders schwierig", sagt Jacqueline Lawin. Dabei sei der Stresspegel in der Schule enorm. "Unser Arbeitstag endet nicht mit dem Schulgong oder mit dem Beginn der Ferien."

Vorbereitung, Unterricht, Nachbereitung, Beurteilungen schreiben, Korrekturen, Elterngespräche, Krisenmanagement, Klassenfeste organisieren, Vertretung übernehmen - die Liste ließe sich fortsetzen.

"Beamte auf Lebenszeit ist nicht alles"

Die Situation spitzte sich mit Beginn der Pandemie zu. "Ich war gerade verbeamtet auf Lebenszeit und habe gemerkt, dass ich das in diesem System nicht aushalte." Jacqueline Lawin schmiss hin. "Beamte auf Lebenszeit ist nicht alles. Mir hat das Bauchschmerzen bereitet, weil das System so starr ist", sagt sie heute. Heute ist das vorbei.

Anfang 2022 eröffnete Jacqueline Lawin ihr eigenes Geschäft: Second-Hand-Brautmoden. Den kleinen Laden in der Velbert-Newigeser Innenstadt hat sie liebend gern mit dem Klassenzimmer getauscht. Angst macht ihr die Selbstständigkeit nicht. "Man hat ja nur mit schönen Dingen zu tun. Die Stimmung ist immer wertschätzend und freundlich und es macht unglaublich viel Spaß", sagt sie heute.

Und sie zieht sogar eine Parallele zu ihrem alten Beruf: "Ich begleite Menschen auf einem entscheidenden Stück ihres Lebens und versuche, ihnen möglichst viel Positives mitzugeben." Wertschätzung, Anerkennung, Freude - all das hat sie in ihrem alten Beruf vermisst. Die Kinder fehlen ihr zwar nach wie vor. Aber zurück ins Schulsystem, wie es heute ist, will sie nicht mehr. "Dafür müsste sich ganz viel ändern."

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