Schafft sie den Spagat zwischen Karnevalshumor und dem Ernst, den eine Bundesaußenministerin in diesen Zeiten zeigen muß? Sie schaffte es, wenn auch spürbar nervös. Annalena Baerbock wurde im Narrenkäfig freundlich gefeiert als neue Ordensritterin wider den tierischen Ernst. Weil sie, so der Aachener Karnevalsverein, Menschlichkeit im Amt gezeigt habe.
Teilnahme bis zuletzt unklar
Erst wenige Stunden vor der Sitzung war klar: Sie kommt tatsächlich. Denn bis zuletzt hatten die Verantwortlichen befürchten müssen, eine weitere Krisensituation hätte Deutschlands Chefdiplomatin zur Absage gezwungen. So stand sie mit der Ritterinnenmütze auf dem Kopf im Narrenkäfig. Aber bewußt nicht närrisch kostümiert.
Es sei tierisch ernst in der Welt, und den Humor nicht zu verlieren, sei nicht leicht, so Baerbock. Sie lobte ironisch den Mut des Aachener Karnevals, nach "nur 73 Jahren" eine grüne Frau ausgezeichnet zu haben. Den Mut der Union zu "feministischer" Außenpolitik. Sie versprach in der Bundestagskantine statt Bismarckhering Aachener Printen.
Schlangestehen bei der Ordensverleihung
Baerbock: "Mehr Werte im Herzen als Lindner im Depot"
Ernst wurde sie, als sie den Zusammenhalt der Menschen als Antwort auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine lobte. Sie sei dankbar, in einem Land zu leben, in dem man trotz allem miteinander und übereinander lachen könne – und erntete dafür den meisten Applaus.
Schauspielerin Iris Berben, Ritterin des Vorjahres, hatte zuvor sehr deutliche Worte in ihrer Laudatio gefunden für Annalena Baerbock. Sie habe "mehr Werte im Herzen als Lindner im Depot" und sende "mehr positive Signale aus Deutschland in die Welt als elf Halbstarke, die sich den Mund zuhalten."
Annalena Baerbock mit der Ritterin des Vorjahres, Iris Berben
Sandra Maischberger moderierte
Auch in den drei Stunden zuvor hatte der Saal in Aachen eine mehr politische als karnevalistische Gala erlebt, moderiert vom Präsidenten des Aachener Karnevalsvereins (AKV) und der Journalistin Sandra Maischberger.
Sandra Maischberger moderierte die Sitzung
Diese hatte schon zu Beginn beinahe warnend gesagt: "Heute sagen Politiker die Wahrheit. Das ist selten – machen Sie sich auf was gefaßt."
Die Prominenz im Saal amüsierte sich trotzdem. Neben CDU-Chef Friedrich Merz waren das unter anderem Ministerpräsident Wüst, sein Vorgänger Armin Laschet, FDP-Vize Wolfgang Kubicki und NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne).
Viel Kritik für Friedrich Merz
Im Kostüm der bösen Königin aus "Schneewittchen" hielt FDP-Verteidigungsexpertin Marie-Agnes Strack-Zimmermann zum Beispiel dem anwesenden CDU-Chef Friedrich Merz den Spiegel vor, wegen dessen Äußerungen über "Sozialtouristen" aus der Ukraine und "kleine Paschas": "Grad die christlich sonst sich wähnen, sollten sich für ihn was schämen."
Ehepaar Merz: Friedrich Merz musste viel Kritik einstecken
Auch NRW-Innenminister Herbert Reul konnte sich einen Seitenhieb auf Merz nicht verkneifen: Er habe mit dem gleich klingenden Monat gemein, daß viele allergisch reagierten, wenn er komme.
NRW-Innenminister Herbert Reul hält verkleidet eine Büttenrede
Der SPD-Bundesvorsitzende Lars Klingbeil punktete mit Ständchen auf der Ukulele sowie einem Seitenhieb auf den Kanzler und den Wirecard-Skandal. Er habe Olaf Scholz um einen Witz für Aachen gebeten, so Klingbeil. Dessen Antwort: "Ich kann mich nicht erinnern."
Der SPD-Bundesvorsitzende Lars Klingbeil spielte ein Ständchen auf der Ukulele
Demonstrationen im Vorfeld
Bevor sie im Saal Pointen von Politikern und Comedians wie Guido Cantz und Ingo Appelt feierten und Karnevalslieder mitsangen, mussten die Gäste vor dem Eurogress an einem Spalier gleich zweier Demonstrationen vorbei.
Mehr als 300 Menschen forderten von der Ordensritterin, die iranischen Revolutionsgarden auf die Terrorliste zu setzen, etwa 120 Personen protestierten gegen Waffenlieferungen an die Ukraine. Zu Zwischenfällen kam es nicht.
Angesichts der Unsicherheiten, auch darüber, wie eine TV-Karnevalssitzung mit Politikern wohl ankommen würde, waren am Ende alle Beteiligten mehr als erleichtert. Offen blieb am Ende nur, ob die Ritterin neben dem Saalpublikum auch ihre Tochter überzeugt hatte. Die nämlich, verriet Annalena Baerbock, habe ihrer Mutter vorher attestiert:
Die ARD zeigt eine zweistündige Zusammenfassung am Montag um 20:15 Uhr.