85. Jahrestag der Reichspogromnacht

WDR aktuell 09.11.2023 Verfügbar bis 09.11.2025 WDR Von Oliver Schäfer

Reichspogromnacht: Gedenken im Schatten des Hamas-Terrors

Stand: 09.11.2023, 06:38 Uhr

Vor 85 Jahren, am 9. November 1938, haben die Nationalsozialisten Synagogen angezündet, jüdische Geschäfte und andere jüdische Einrichtungen geplündert oder zerstört. In diesem Jahr steht das Gedenken unter dem Eindruck des Hamas-Terrors.

Von Till Schwachenwalde

In vielen Städten und Gemeinden gibt es Veranstaltungen an den Standorten ehemaliger Synagogen oder an Orten, an denen an die Verbrechen der Nazis erinnert wird. Politiker, Vertreter von Kirchen, Glaubensgemeinschaften, Verbände und Gewerkschaften gedenken der Opfer der Reichspogromnacht, erinnern an die schrecklichen Ereignisse vor 85 Jahren.

Vielfältiges Gedenken

In Essen wird zum Beispiel traditionell in der Alten Synagoge gedacht, damals das Gotteshaus der jüdischen Kultusgemeinde. Heute heißt es "Haus jüdischer Kultur" und erinnert an jüdisches Leben in Deutschland.

Parteien, Gewerkschaften und andere Gesellschaften veranstalten in NRW auch Mahnwachen oder Mahngänge. Häufig gibt es auch Konzerte oder Lesungen. Am 9. November um kurz vor 22 Uhr läuten in Mönchengladbach die Glocken der christlichen Kirchen, um an die gemeinsame Verantwortung zu erinnen und ihre "Stimme" gegen Antisemitismus zu erheben.

Auch an vielen Schulen gibt es Gedenkveranstaltungen. Das bischöfliche Abtei-Gymnasium in Duisburg baut im Foyer eine "Mauer gegen Hass" auf. Die Schülerinnen und Schüler stapeln dafür insgesamt 120 Kartons.

Gedenken an historischen Orten

In Bad Honnef startet ein Mahngang an einem Haus, in das die jüdische Bevölkerung der Stadt ziehen musste - von den Nationalsozialisten dazu gezwungen. In Hilden gibt es Gedenkveranstaltungen an Stolpersteinen, also an Orten, von denen Menschen jüdischen Glaubens verschleppt worden sind. Es werden Informationen zu den Verschleppten gegeben, Gedichte vorgetragen oder Rosen und Kerzen niedergelegt.

In Paderborn werden die Namen der ermorderten Jüdinnen und Juden vorgelesen. Danach wird eine Projektion der virtuell rekonstruierten Paderborner Synagoge gezeigt. Neben einer Theateraufführung wird es so eine Projektion auch in Dortmund geben.

Dortmund und Paderborn sind zwei von 20 Städten, in denen der World Jewish Congress zusammen mit dem Zentralrat der Juden in Deutschland zerstörte oder schwer beschädigte Synagogen virtuell rekonstruiert.

Hintergrund: Novemberpogrome 1938

Alte Synagoge in Chemnitz, die von den Nationalsozialisten in der Pogromnacht verwüstet und in Brand gesteckt wurde  (9./10. November 1938)

Alte Synagoge in Chemnitz, die von den Nationalsozialisten in der Pogromnacht verwüstet und in Brand gesteckt wurde (9./10. November 1938)

Die Novemberpogrome vor 85 Jahren war der Auftakt zur systematischen Judenverfolgung in der Zeit des Nationalsozialismus. Mehr als 2.600 Synagogen brannten in ganz Deutschland. Viele tausend Menschen wurden in Konzentrationslager verschleppt. In der Folge steigerte sich der Rassismus und Antisemitismus in Deutschland immer weiter und nahm ein immer schrecklicheres Ausmaß an.

Gedenken in diesem Jahr im Schatten neuen Terrors gegen Juden

In diesem Jahr erinnern die Gedenkveranstaltungen in den meisten Städten und Gemeinden nicht nur an die Verbrechen vor 85 Jahren, sondern an ganz aktuelle Ereignisse. Vor einem Monat haben Terroristen der radikal-islamistischen Hamas schreckliche Greueltaten in Israel verübt. Tausende Menschen wurden verschleppt, verletzt oder getötet.

Israels Präsident Jitzchak Herzog sagte, dass seit dem Ende des Holocaust noch nie so viele Juden an einem einzigen Tag ermordet worden sind. In vielen Reden zum Gedenken an die Reichspogromnacht wird in diesem Jahr deswegen auch an die Opfer des aktuellen Krieges zwischen Israel und der Hamas erinnert und ein Zeichen für die Solidarität mit Israel gesetzt.

Solidaritätsveranstaltungen für Israel und jüdische Menschen

Seit dem Großangriff der Hamas auf Israel leben Menschen jüdischen Glaubens in Deutschland in ständiger Angst vor Übergriffen. Der Antisemitismusbeauftrage der Bundesregierung hat am Dienstag das neue "Zivilgesellschaftliche Lagebild Antisemitismus" vorgestellt, das einen dramatischen Anstieg von antisemitischen Vorfällen zeigt.

Rund um das Gedenken an die Reichspogromnacht gibt es deswegen zahlreiche zusätzliche Veranstaltungen in dieser und nächster Woche gegen Antisemitismus. Das Düsseldorfer Schauspielhaus etwa veranstaltet im Foyer am 9. November eine Lesung jüdischer Autoren. Außerdem veranstalten die Deutsch-Israelische Gesellschaft Düsseldorf und die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Düsseldorf nächste Woche Freitag, am 17. November eine Mahnwache vor der Synagoge.

Kirchen zeigen Solidarität

Die evangelische Kirche in Wuppertal setzt am Freitag ein besonderes Zeichen: Der Eröffnungsgottesdienst für die Synode, das Kirchenparlament des Kirchenkreises, ist in diesem Jahr die Teilnahme am Synagogengottesdienst der jüdischen Gemeinde in Wuppertal.

Schon am Abend des 8. November hatte es in Köln einen gemeinsamen Schweigegang von evangelischer und katholischer Kirche geben. Ingesamt kamen rund 2.500 Menschen.

Unsere Quellen:

  • Deutsche Presse-Agentur
  • Gespräche mit verschiedenen Kirchenkreisen
  • Gespräche mit unterschiedlichen Ortsverbänden der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit
  • Gespräche mit verschiedenen Stadt-Pressestellen
  • "Zivilgesellschaftliches Lagebild Antisemitismus"