Quick Freeze: Justizminister legt Alternative zur Vorratsdatenspeicherung vor

Stand: 28.10.2022, 06:00 Uhr

Bundesjustizminister Marco Buschmann hat einen Entwurf für ein "Quick-Freeze"-Verfahren vorgelegt. Es ist eine Alternative zur umstrittenen Vorratsdatenspeicherung. WDR-Digitalexperte Jörg Schieb erklärt die Hintergründe.

Es scheint ein unauflösbares Dilemma: Wie schafft man es, Polizei und Ermittlungsbehörden in Fällen schwerer Kriminalität im Internet notwendige und ermittlungstechnisch wichtige Kommunikationsdaten bereitzustellen und gleichzeitig allen Bürgern die durch die Verfassung garantierten Freiheiten und vor allem das Recht auf Unversehrtheit der Privatsphäre zu garantieren?

Die Vorratsdatenspeicherung (VDS) schafft nur eines davon: Polizei und Behörden im Bedarfsfall Daten bereitzustellen. Doch das mehrfach umgeschriebene Gesetz ist ebenso mehrfach vor allen relevanten gerichtlichen Instanzen gescheitert: Europäischer Gerichtshof und Bundesverfassungsgericht betrachten es als "unverhältnismäßigen Eingriff", sensible Kommunikationsdaten von allen Bürgern anhaltlos zu speichern.

Quick Freeze: Referentenentwurf

Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) bringt nun eine andere Lösung ins Spiel: Quick Freeze. Die Idee ist keineswegs neu, aber zum ersten Mal gibt es einen konkreten Gesetzentwurf. Der Referentenentwurf liegt mehreren Nachrichtenagenturen vor.

Danach sollen Ermittlungsbehörden zur Verfolgung einer erheblichen Straftat - zum Beispiel Mord, Erpressung oder sexualisierte Gewalt gegen Kinder - sogenannte Verkehrsdaten "einfrieren" können. Der Gesetzgeber würde alle Telekommunikationsanbieter verpflichten, bei einem Anfangsverdacht Daten zu einzelnen Nutzern für einen bestimmten Zeitraum zu speichern.

Daten einfrieren nach richterlicher Anordnung

Konkret bedeutet das: Nach einer richterlichen Anordnung – und auch nur dann! – müssten Zugangs-Provider (DSL, Mobilfunk) bestimmte Daten einzelner Nutzer oder Nutzergruppen mit möglichem Bezug zu einer Straftat für einen bestimmten Zeitraum speichern - "einfrieren". Darunter fallen unter anderem auch alle noch nicht gelöschten Daten der jüngsten Vergangenheit, die der Gegenwart und der Zukunft.

Bei QuickFreeze wird unter anderem die IP-Adresse gespeichert: Für Polizei und Ermittlungsbehörden in der Regel besonders wichtig

Bei QuickFreeze wird unter anderem die IP-Adresse gespeichert

Gespeichert werden vor allem die verwendeten IP-Adressen. Die sind für Polizei und Ermittler meist am wichtigsten. So lassen sich Aktivitäten im Netz einer Täterin oder einem Täter zuordnen. Die Polizei oder Behörde hat maximal einen Monat Zeit, die eingefrorenen Daten durch einen weiteren richterlichen Beschluss auch tatsächlich ausgehändigt zu bekommen.

Daten von Menschen in einer Funkzelle

Denkbar ist zum Beispiel die Speicherung aller Daten aus einer bestimmten Funkzelle, etwa rund um einen Tatort oder aufgrund eines örtlichen Geschehens. Bei den einzufrierenden Daten handelt es sich um Informationen wie IP-Adressen, Standortdaten und Metadaten zu Kommunikationsverbindungen, also etwa wer zu welchem Zeitpunkt mit wem telefoniert hat und wo sich die Personen aufgehalten haben.

Auch ließen sich die Standortdaten der Mobiltelefone von Angehörigen eines Opfers ermitteln - und "einfrieren", zur späteren Verwendung, damit die Daten in aller Ruhe ausgewertet werden können und nicht verloren gehen.

Netzaktivisten und Datenschützer bevorzugen Quick Freeze

Beim Quick Freeze-Verfahren fallen deutlich weniger Daten an. Doch es gilt als staatsrechtlich unbedenklich. Selbst strenge Kritiker von staatlichen Maßnahmen, etwa netzpolitik.org, der EU-Abgeordnete der Piratenpartei Patrick Breyer oder der Verein Digitalcourage aus Bielefeld begrüßen den Entwurf des Bundesjustizministeriums.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) jedoch ist nicht zufrieden. Sie strebt trotz der ablehnenden Gerichtsurteile weiter eine Vorratsdatenspeicherung an.

Über den Autor

Jörg Schieb, WDR-Digitalexperte.

WDR-Digitalexperte Jörg Schieb

Jörg Schieb, Jahrgang 1964, ist WDR-Digitalexperte und Autor von 130 Fachbüchern und Ratgebern. Er beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Digitalisierung und deren Auswirkungen auf unseren Alltag.

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