Von Palina Milling (WDR) und Benedikt Strunz (NDR)
"Putins Zug" soll nicht nur aus Arbeitsräumen bestehen, sondern auch aus Vielem, was das Leben angenehmer macht. Das zeigt ein Datenleck, das NDR, WDR und "Süddeutsche Zeitung" (SZ) auswerten konnten. So soll es ein Sport-Abteil geben, das nicht nur Fitnessgeräte und eine Hantelbank bereithält, sondern auch ein Hamam, also ein Dampfbad. Auch ein Kosmetikstudio mit Massageliege soll vorhanden sein. Letzteres soll den Unterlagen zufolge unter anderem über technisches Gerät verfügen, mit dem sich die Haut straffen lassen soll. Gesichtsmasken mit Kaviarextrakt, Meeresalgen oder Kollagen sollen dort offensichtlich vorrätig sein - ein Protokoll hält extra fest, dass diese und weitere Schönheitsutensilien an den Sicherheitsdienst des Präsidenten übergeben worden sein sollen.
Manche Waggons wohl zu Zeiten der Sowjetunion gebaut
Ein Schreiben der Transportverwaltung des russischen Präsidialamtes, in dem ein Austausch der Trainingsgeräte im Fitness-Waggon angefordert wird
Insgesamt sollen 22 Waggons zur Verfügung stehen, von denen manche bereits zu Sowjet-Zeiten gebaut wurden. Darunter befinden sich Passagierwagen, ein Restaurant-Abteil, mehrere Wagen, die Kommunikationstechnik bereitstellen und eben einige Wagen, die für Sport und Wellness vorgesehen sind. Die Waggons werden vom Transportbetrieb des russischen Präsidialamtes verwaltet, Wartungs- und Renovierungstermine sollen laut Unterlagen mit dem FSO Russlands abgestimmt werden - dem Spezialdienst, der für die Sicherheit des Präsidenten zuständig ist.
Umgerechnet 74 Millionen Euro soll "Putins Zug" dem Datenleck zufolge in den vergangenen Jahren für die Beschaffung und den Unterhalt verschlungen haben. Trotzdem soll die technische Ausstattung des Zuges nicht westlichen Standards entsprechen. So geht aus den Unterlagen hervor, dass Putins Sonderzug derzeit lediglich eine Spitzengeschwindigkeit von 160 Stundenkilometern erreichen soll. Zudem soll Kommunikationstechnik verbaut worden sein, die aus den 1980er-Jahren stammt. Auch werfen die Unterlagen Fragen zum tatsächlichen Sicherheitsstandard verschiedener Wagen auf. Die Dokumente enthalten zwar keine Informationen über den Schutz der Waggons, in denen sich der Präsident selbst aufhalten könnte. Sie zeigen aber, dass die Wagen für Sicherheitspersonal und Begleitpersonen lediglich an den Wänden und Fenstern verstärkt sind. Die Panzerung soll lediglich einem Beschuss mit Kalaschnikow-Sturmgewehren standhalten.
Das alles geht aus den geleakten Daten hervor, die die Nichtregierungsorganisation "Dossier-Center" von einer anonymen Quelle erhalten hat. NDR, WDR, SZ sowie der amerikanische TV-Sender CNN konnten einige der Dokumente vorab einsehen. Das Datenleck enthält insgesamt mehr als 25.000 Dokumente der Firma Zircon Service. Zircon stattet unter anderem Züge aus.
Geleakte Dokumente sind E-Mails und Ausstattungslisten
Bei den Unterlagen handelt es sich unter anderem um E-Mails, Verträge und Ausstattungslisten, die von Zircon und vom Sicherheitsamt des Präsidenten (FSO) stammen. Konkrete Fotografien, die sich eindeutig Putins Zug zuordnen lassen, sind darin nicht enthalten. Als Auftraggegeber ist in den Unterlagen der Transportbetrieb des russischen Präsidialamtes angegeben. Zircon tritt als Hersteller der Waggons auf. Betrieben werden sie laut Unterlagen von der russischen Bahn. Neben offiziellen Stempeln und überprüfbaren Namen enthalten die Dokumente auch die Identifikationsnummern der jeweiligen Waggons. Die Recherchen haben keine Anhaltspunkte ergeben, die Zweifel an der Echtheit der Unterlagen aufkommen ließen. Welche Waggons für Wladimir Putin selbst oder für seine möglichen Mitreisenden bestimmt sind, geht aus den Unterlagen nicht hervor.
Wohl veraltete Technik
Ausschnitt aus einem Besprechungsprotokoll einer Testfahrt. Der instabile Empfang des Satellitensignals fürs Fernsehen wird beanstandet.
Anhand der Dokumente lässt sich nachvollziehen, wie die Waggons ausgestattet und weiterentwickelt wurden. So sollen sich Vertreter der russischen Bahn, des Herstellers Zircon und des FSO des Präsidenten persönlich getroffen haben, um die Ergebnisse einer Testfahrt des Fitness-Waggons zu besprechen. Aus dem entsprechenden Sitzungsprotokoll gehen einige Verbesserungswünsche hervor. Etwa die Massageliege sollte demnach mit einer Fernbedienung versehen werden. Ein "MP3-Player mit Audio-Content" wurde laut Protokoll angefordert. Ausführlich sollen sich die Beamten auch mit dem Fernsehempfang befasst haben. Beanstandet wurde, dass beim Fahren des Zuges nicht länger als zwei Minuten am Stück ferngesehen werden kann - der Satellitenempfang sei zu instabil. Um die Mängel zu beheben, wurde schriftlich ein Plan mit Fristen festgelegt - auch dieser ist im Leak enthalten.
Das Dossier-Center hatte Anfang des Jahres enthüllt, dass Wladimir Putin seit dem Sommer 2021 möglichst vermeidet, mit dem Flugzeug zu reisen. Die Nichtregierungsorganisation berief sich dabei auf Quellen, die dem russischen Präsidialamt nahestehen. Aus Sicherheitsgründen reise Putin vermehrt mit dem Zug, da dieser schwerer zu Orten sei. Der Zug soll auf dem russischen Streckennetz absolute Priorität vor anderen Zügen genießen. Das russische Streckennetz soll dabei über mehrere geheime Bahnstationen verfügen, die ausschließlich Putin und seinen Mitreisenden vorbehalten sind. Eine dieser Bahnstationen soll beispielsweise in der Nähe von Waldaj liegen, wo sich eine opulente Villa befindet, die Putin nutzen soll.
Eine Mitarbeiterin der Pressestelle des russischen Präsidenten teilte NDR, WDR und der SZ telefonisch mit, Wladimir Putin besitze keinen Sonderzug. Zircon Service reagierte nicht auf Anfrage der Recherche-Kooperation. Der Unternehmensleiter bestätigte den Erhalt der Anfrage, ließ diese jedoch unbeantwortet.
Die Unterlagen legen indes nahe, dass Zircon aktuell offenbar weitere Aufträge des Transportbetriebes des russischen Präsidialamtes bearbeitet. In einem der Dokumente wird ausführlich erörtert, dass ein Saal mit einem Multimedia-Center, ein weiterer Fitness-Waggon sowie Waggons mit Luxus-Abteilen samt Bar offenbar bis Ende des Jahres entstehen sollen. Ob auch die bald im Sonderzug des russischen Präsidenten durch Russland rollen, ist allerdings unklar.
Das "Dossier Center"
Protokollausschnitt einer Besprechung einer Testfahrt des Fitness-Waggons. Unter Punkt 2 wird ein MP3-Player mit Audio-Content gewünscht.
Die Nichtregierungsorganisation "Dossier Center" hat ihren Sitz in London. Sie wird vom russischen Milliardär und Kreml-Kritiker Mikhail Khodorkovsky finanziert, der heute mit seiner Familie im Exil in Großbritannien lebt. Nach eigener Auskunft ist es das Ziel des Dossier Centers, kriminelle Aktivitäten in Russland aufzudecken, die im Zusammenhang mit dem Kreml stehen.