Nach dem Wagner-Aufstand – Was passiert da gerade in Russland?
Stand: 26.06.2023, 21:38 Uhr
Der russische Söldner-Chef Jewgeni Prigoschin hat seine Revolte nach nur einem Tag wieder beendet und sich auf einen Deal mit dem russischen Präsidenten Waldimir Putin eingelassen. Doch Ruhe kehrt damit in Russland nicht ein - Fragen und Antworten.
"Es ist nach wie vor unklar, was dort geschieht. Ich sage ganz klar, was dort geschieht und nicht, was dort geschah." Das sagte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock heute mit Blick auf den abgebrochenen Auftsand der Söldnergruppe Wagner in Russland. Sie sieht darin eine Folge des Angriffskriegs gegen die Ukraine für das Machtssystem Putins: "Wir sehen massive Risse in der russischen Propaganda." Sie spricht am Montag mit den anderen EU-Außenministern über die Lage in Russland.
Die wichtigsten Fragen:
Wie kam es zum Machtkampf in Russland?
Der Chef der russischen Privatarmee "Wagner", Jewgeni Prigoschin, hat sich immer wieder mit der russischen Militärführung angelegt. Am Freitag kritisierte er sie erneut offen und besonders deutlich, sprach von russischen Angriffen auf seine Truppe und möglichen Gegenmaßnahmen. In der Nacht auf Samstag wurde bekannt, dass der russische Geheimdienst FSB wegen versuchten Militärputsches gegen Prigoschin ermittelt.
Am Samstag ließ Prigoschin seine Söldner dann auf russisches Gebiet vorrücken. Sie übernahmen die Kontrolle über die Militäreinrichtungen im Armee-Hauptquartier der südrussischen Stadt Rostow am Don, rückten Richtung Moskau vor. Schon am Samstagabend rief Prigoschin seine Truppen aber wieder zurück, nachdem er einen Deal mit Präsident Putin gemacht hatte. Der Deal sieht vor, dass Prigoschin straffrei nach Belarus ausreisen darf und auch seine Soldaten straffrei bleiben.
Zuvor hatte Putin mit Blick auf das Vorgehen der Wagner-Truppe von Meuterei gesprochen und Strafen angekündigt.
Warum hat Prigoschin das gemacht?
Darüber wird viel spekuliert. Mehrere Beobachter gehen davon aus, dass Prigoschin um das eigene Überleben gekämpft hat. "Für mich ist es eher eine Position der Schwäche von Prigoschin gewesen", vermutet Stefan Meister im WDR, Politologe bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Prigoschin habe unter Druck gestanden, nachdem Putin ihn fallengelassen hat und habe so versucht, "für sich und seine Leute Geleit auszuhandeln".
"Prigoschin hat eindeutig die Nerven verloren", sagte auch der pensionierte US-General David Petraeus, ein ehemaliger CIA-Direktor, dem US-Nachrichtensender CNN.
Präsident Wladimir Putin hat sich bislang nicht zu Wort gemeldet, seit der Kreml am Samstag die Einigung zwischen Wagner auf der einen und Russlands Militär und Sicherheitsbehörden auf der anderen Seite verkündet hat. Wagner-Chef Prigoschin veröffentlichte am Montag eine Audionachricht über den Messenger-Dienst Telegram. Nach Angaben der Nachrichtenagentur Reuters sagte er, dass das angeordnete Unterzeichnen eines Vertrages mit dem russischen Verteidigungsministerium das Ende seiner Söldner-Gruppe bedeutet hätte. "Wir haben unseren Marsch wegen Ungerechtigkeit begonnen", so Prigoschin. Das Ziel des Aufstandes war es demnach, die Zerstörung der Wagner-Gruppe durch die russische Regierung abzuwenden. Ein Umsturz der Regierung sei nicht der Plan gewesen. Auch bekräftigte Prigsochin noch einmal, dass er den Marsch nach Moskau abgebrochen habe, um ein "Blutvergießen" zu vermeiden. Er bereue es, dabei russische Luftkräfte zu haben.
Was bedeutet der Deal?
Den Deal hat der belarussische Präsident Alexander Lukaschenko verhandelt. Meister hält es für möglich, dass das eine Inszenierung war, "um das in diesem Lichte darzustellen, dass es einen externen Vermittler gegeben hat". Das amerikanische Institut für Kriegsstudien, eine Denkfabrik in Washington, bezeichnete die Vermittlung durch Lukaschenko als demütigend für Putin.
Ob Prigoschin wirklich ohne Konsequenzen davonkommt, bezweifeln deshalb viele Beobachter. "Putin kann diesen Machtverlust, diesen Gesichtsverlust, natürlich nicht akzeptieren", sagt Meister: "Wir werden sehen, ob Prigoschin das persönlich überleben kann.“
Dass Prigoschin in Belarus ein ruhiges Leben führen kann, hält auch Russland-Expertin Leslie Schübel von der Körber-Stiftung für ausgeschlossen: "Ich glaube, er wird alles verlieren, was ihm das Leben komfortabel macht, und kann vermutlich froh sein, wenn er das Leben selber nicht verliert", erklärte sie im WDR.
Passend zu diesen Einschätzungen wird russischen Medienberichten zufolge doch weiter gegen den Wagner-Chef ermittelt. "Das Strafverfahren gegen Prigoschin wurde nicht eingestellt", zitierten die drei wichtigsten russischen Nachrichtenagenturen heute einen Vertreter der Generalstaatsanwaltschaft.
Der russische Präsident Wladimir Putin hat am Montagabend ein kurzes Statement im russischen Fernsehen gegeben. Er sagte, Wagner-Aufständische könnten der russischen Armee beitreten oder "nach Belarus gehen".
Wackelt Putins Macht?
Viele Beobachter sehen in den Vorgängen der vergangenen Tage eine Schwächung von Präsident Putin. "Ich denke, wir haben weitere Risse in der russischen Fassade gesehen", sagte US-Außenminister Antony Blinken dem US-Sender NBC. Prigoschins Rebellion habe deutliche Schwächen des Kremls und des russischen Verteidigungsministeriums aufgedeckt, analysiert das amerikanische Institut für Kriegsstudien.
Die offensichtliche Überraschung des Kreml über Prigoschins Rebellion werfe zudem kein gutes Licht auf den russischen Inlandsgeheimdienst FSB. Der abgebrochene Aufstand wirkte sich auch auf die Währung Russlandsa aus: Der Rubel sank auf den tiefsten Wert seit 15 Monaten. Ob die Ereignisse Putin nachhaltig schwächen und was das für Russland bedeuten würde, ist noch schwer absehbar.
Wer ist Jewgeni Prigoschin?
Prigoschin und Putin
Der 62-jährige Prigoschin ist ein reicher russischer Geschäftsmann, dem schon lange eine Nähe zu Präsident Wladimir Putin nachgesagt wurde. "Putins Koch" wird er oft genannt, weil er einst ein Restaurant in St. Petersburg betrieb, in dem Putin zu speisen pflegte. Sein Einfluss und seine Macht reichten aber offensichtlich viel weiter.
Prigoschin besitzt neben einem riesigen Catering-Unternehmen, das staatliche Einrichtungen versorgt, außerdem Medienunternehmen und sogenannte "Trollfabriken" zur Beeinflussung sozialer Medien. "Im Wesentlichen ist er ein privater Geschäftsmann, der stark davon abhängig ist, wie seine Beziehungen zu den Behörden strukturiert sind", sagte Stanowaja, Gründerin des Analyseunternehmens R.Politik.
Mancher Kommentator hielt Prigoschin gar für den künftigen Verteidigungsminister. Dabei war immer fraglich, ob Putin wirklich seinen langjährigen Minister Schoigu verstoßen würde. Es blieb immer unklar, wie viel Einfluss Prigoschin tatsächlich in Putins Entourage hatte. Aber er scheute in der Vergangenheit nicht davor zurück, sich mit dem Militär und dem Verteidigungsministerium anzulegen.
Was ist die sogenannte Wagner-Truppe?
Als Gründer der Söldnerarmee sind zwei Männer bekannt: Dmitri Utkin und eben der aktuelle Chef Jewgeni Prigoschin. Utkin ist ein ehemaliger Geheimdienstler, 2016 wurde er in Russland als Held des Vaterlandes geehrt. Er soll eine Vorliebe für den deutschen Komponisten Richard Wagner haben und nach ihm auch die Söldner-Armee benannt haben. Prigoschin räumte erst im September öffentlich ein, mit der Wagner-Gruppe überhaupt etwas zu tun zu haben. Nach seinen Angaben gründete er sie 2014.
Ursprünglich bestand die Wagner-Truppe aus Veteranen der russischen Streitkräfte. Putin hatte wiederholt erklärt, die Wagner-Gruppe vertrete nicht den Staat. Sie verstoße aber nicht gegen russische Gesetze und habe das Recht, überall auf der Welt zu arbeiten und ihre Geschäftsinteressen zu fördern. Das tat die Wagner-Gruppe bereits in Syrien, Mali, Libyen und der Zentralafrikanischen Republik, wo die Söldner bei der Niederschlagung von Aufständen eingesetzt werden.
Was bedeutet das für den Krieg in der Ukraine?
Die russische Regierung hat in der Ukraine immer wieder auf die Wagner-Söldner gesetzt. Sie spielten unter anderem eine wichtige Rolle beim Kampf um die Stadt Bachmut. Prigoschin durfte zu Beginn des Ukraine-Krieges auch Strafgefangene rekrutieren und sie in Panzern, Flugzeugen und an Raketenabwehrsystemen einsetzen. Unklar ist jetzt, ob und wie die Söldner weiter in der Ukraine kämpfen. Mittelfristig könnte der Ukraine der Machtkampf in Russland helfen, meint Meister, weil Russland geschwächt sei. "Aber wir werden das möglicherweise kurzfristig erst mal nicht sehen, weil die Truppen weiterkämpfen und das erst mal nicht diese große Wirkung hat.“
Die Deutsche Presseagentur meldet, dass die Wagner-Gruppe weiter zum Einsatz kommen wird und bezieht sich dabei auf die Einschätzungen des US-Instituts für Kriegsstudien (ISW). Die Rückkehr der Söldnertruppen in ihre Ausbildungslager mit militärischer Ausrüstung deute darauf hin, dass der Kreml zumindest Teile der Gruppe aufrechterhalten wolle.
Bei den ukrainischen Soldaten könnte das Chaos auf russischer Seite die Moral stärken. "Alle sind begeistert", erklärt ein ukrainischer Soldat der Nachrichtenagentur AP dazu. James Nixey, Leiter der Russland- und Eurasien-Abteilung bei Chatham House, glaubt, die Situation werde "den Ukrainern einen richtigen Schub geben". Gleichzeitig könnte sich die Situation negativ auf den russischen Kampfgeist auswirken – mehrere bekannte russische Militärblogger riefen die eigenen Soldaten in einer Botschaft auf, den Fokus auf den Krieg nicht zu verlieren.